Ameisenroman
das Versprechen gebunden, das er Sunderland und Sturtevant gegeben hatte. Es würde Siege für das Unternehmen geben und Niederlagen. Und darüber hinaus waren ganz wenige Vorgänge mit größeren langfristigen Folgen zu erwarten. Am meisten zerbrach er sich den Kopf über das Schicksal des Nokobee Tracts. Dabei käme es zum unweigerlichen Showdown.
Inzwischen verbrachte Raff seine Freizeit, abgesehen von Geschäftsessen und Empfängen, nicht mit seinen Kollegen bei Sunderland Associates. Stattdessen baute er sich seinen Freundeskreis in aller Ruhe in der Umweltbewegung auf.
Raffs wichtigste Kontaktperson war unweigerlich Bill Robbins, dessen Büro beim
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nur fünf Blocks vom Bürogebäude von Sunderland entfernt lag. Robbins’ und Raffs Verhältnis war schon bald nicht mehr das zwischen Mentor und Ratsuchendem, sondernzwischen engen Freunden und Partnern. Sie gewöhnten sich an, gemeinsam im Rebel Cafe and Deli Mittag zu essen, das in der Bledsoe Street auf halbem Weg zwischen ihren Büros lag und für seine frittierte Meeräsche, Hushpuppies und Krabben-Gumbo berühmt war. Gelegentlich kam auch Bills Frau Anna Jeanne Longstreet Robbins dazu, wenn sie sich in ihrem Job als Abteilungsleiterin im Kaufhaus Sears im Stadtzentrum freimachen konnte.
Sie unterhielten sich über alles Mögliche, oft auch über pikante Episoden aus dem politischen Klatsch: ein Gouverneur, der der Unterschlagung beschuldigt wurde, ein berühmter Football-Trainer, der wegen eines Techtelmechtels mit einer Mitarbeiterin gefeuert werden sollte, ein Landesabgeordneter, der fotografiert worden war, wie er in Begleitung eines männlichen Prostituierten ein Kasino in Biloxi verließ.
Unweigerlich aber kamen sie irgendwann auf die neuesten Ereignisse im Umweltschutz von Süd-Alabama zu sprechen. Robbins hatte immer eine gefaltete Karte der überlebenden Restbestände von Sumpfzypressen und Sumpfkiefern bei sich. «Diese kleinen Parzellen sind der Schlüssel zu allem», sagte er.
Bei ihrem zweiten Treffen beschloss Raff, ihm seinen Rettungsplan für den Nokobee zu eröffnen, um ihn ausführlich mit ihm zu besprechen. Die Sache würde absolut vertraulich bleiben. Nur Robbins sollt‚e davon wissen, nicht einmal Anna Jeanne, und ganz gewiss nicht Cyrus Semmes. Raff sehnte sich danach, das Thema mit jemandem zu besprechen, dem der Umweltschutz in Alabama wirklich am Herzen lag; außerdem brauchte er praktischen Rat von dem erfahrenen Zeitungsmann. Was investigativer Journalismus war, war ihm durchausbekannt: erst die Verführung, dann der Verrat. Robbins aber vertraute er voll und ganz. Sie waren echte Partner, verbunden durch ihre gemeinsamen Ziele.
Als Raffs erstes Jahr bei Sunderland Associates ablief und noch immer nichts entschieden war, wuchs seine Sorge um den Nokobee. Ihm war klar, dass viele seine Besessenheit für nicht ganz normal halten würden. Aber er hatte schon zu viel Zeit und Energie hineingesteckt und zu viel Selbstgefühl investiert, als dass er davon ablassen konnte. Er wollte, dass die Jepsons den Nokobee jetzt auf den Markt brachten. Dann würde er seinen Plan umsetzen und dazu beitragen, dass die Sache so oder so ausging. Er fühlte sich, erklärte er Robbins, wie ein Soldat, der auf den Pfiff wartet, der ihn über den Graben springen lässt, oder – treffender noch – wie ein Angeklagter im Gerichtssaal, der auf das Urteil wartet. Er wollte fatalistisch sein, er wollte wissen, was die Götter beschlossen hatten, er wollte jetzt eine Entscheidung, Leben oder Tod, vielleicht endlich eine Art Frieden.
«Manchmal», sagte er eines Tages im Rebel bei gekochten Flusskrebsen, Gumbo und Käse-Maisgrieß-Fladen zu Bill Robbins, «bin ich fast bereit, mich auf einen Münzwurf einzulassen. Nur damit ich mir endlich keine Gedanken mehr darüber machen muss.»
«Hör zu, Freund. Ich weiß, dass es dich auffrisst, glaub mir das, aber sieh es doch mal so. Je länger die Jepsons warten, desto mehr wird die öffentliche Meinung an der Golfküste dahingehend umschwenken, dass die letzten Reste des Sumpfkiefer-Ökosystems erhalten bleiben sollen. Wenn die Jepsons noch lange genug warten, wird es vielleicht schwierig für Sunderland oder irgendeinen anderen Bauträger, den Nokobee aufzubaggern, und erstrecht, weil der Nokobee gerade ganz schnell zum letzten wirklich guten Stück Natur wird, das in Süd-Alabama noch übrig ist. Die Leute in Mobile und in den südlichen Countys, und auch die in den nächsten Countys
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