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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Sekretärin ohnehin einen geschiedenen Banker aus dem nahen Lucedale, Mississippi, und das Kichern wurde etwas weniger auffällig. Sie pendelte aber weiterhin zur Arbeit bei Sunderland und erfüllte Raffs Büro mit nie endendem heiterem Geplapper.
    Nach einem Jahr in Mobile war Raff zu einer respektierten Figur in der lokalen Umwelt-Community geworden. Er besuchte die Meetings bei verschiedenen Organisationen und erteilte weiterhin ehrenamtlich seinen juristischen Rat bei der Vielzahl der Fälle, die keinerlei Berührung mit seinen Verpflichtungen bei der Sunderland Associates aufwiesen. Manche seiner Verbandsgenossen überlegten, ob seine Anstellung bei Sunderland nicht einen Interessenskonflikt darstellte, aber sein Rat erwies sich regelmäßig als gut und treffend, und so war von einer möglichen Unvereinbarkeit nach außen nie die Rede.
    Raff ging nicht mehr zur Kirche, aber als säkularen Ersatz übernahm er eine führende Rolle beim amerikanischen Pfadfinderverband. Er blieb der Organisation treu, der er selbst für seine Erziehung und Charakterentwicklung so viel verdankte. Er wurde Chef der Truppe 43 von Mobile und hielt alle zwei Wochen in einem Anbauder First Methodist Church an der Broad Ecke Dauphin Street Sitzungen ab. Ratsuchenden Jungen half er. Er bestätigte die Verleihung von Abzeichen und den Aufstieg der einzelnen Jungen durch die Ränge. Und nicht zuletzt nahm er gelegentlich Gruppen mit auf Exkursionen in den Nokobee Tract, wo er die Jungen mit Geschichten über dessen Ökologie verblüffte.
    Raff hielt sich fit, indem er zwei- oder dreimal pro Woche im Mobile Executive Center Gym trainierte. Gelegentlich ging er nach einem langen Tag im Büro auch hinüber in Henry’s Guns and Shooting Gallery in der Oak Street zum Schießtraining. Seine Lieblingswaffe war eine Einzelladerbüchse Kaliber 22.
    Einige seiner Freunde in der Umweltbewegung staunten, dass ein viel versprechender junger Leader von ihnen schießen ging. Die Erklärung, die Raff Bill Robbins gegenüber abgab, war einfach und, wie er hoffte, überzeugend.
    «Schau, ich möchte natürlich, dass die Leute verstehen, in was für einer Waffenkultur ich aufgewachsen bin. Ich konnte schon als Kind ziemlich gut zielen. Glaub mir, hilflose Vögel und Tiere abzuknallen, finde ich völlig abartig. Andererseits sollten wir schon ehrlich sein. Gelegentlich muss man zum Beispiel Rotwild schießen. All ihre natürlichen Feinde haben wir ausgerottet, und jetzt explodieren uns die Rotwildpopulationen. Die Leute in den Vorstädten werden sich mit den Jägern schon einig werden, aber Wölfe und Pumas werden sie nicht tolerieren. Jedenfalls noch nicht.»
    «Okay, aber wie steht es mit Wachteln und Enten und Truthähnen?», fragte Robbins.
    «Das ist doch nur so ein Gerede, Robbins. Du und ich würden doch nicht hingehen und Wachteln als Zielscheibenbenutzen, aber du weißt genauso gut wie ich, dass rechtmäßige Jäger unsere besten Freunde jenseits der Umweltbewegung sind. Sie wollen genauso wie wir, dass die Lebensräume geschützt werden. Also, sei doch ehrlich, sie sind in ihrem Sinn auch Umweltschützer, ihr Ziel ist unserem ganz ähnlich. Ich finde, es besteht kein so großer Unterschied, ob etwa ein Rundschwanzsperber eine Wachtel erlegt oder ein Jäger sie schießt, solange wir den Wald schützen, in dem der Sperber und die Wachtel leben.»
    Es gab aber noch einen Grund, aus dem Raff an den Schießstand ging, den er aber Robbins oder irgendjemandem sonst nie zu erklären versuchte. Für ihn waren Schießübungen, besonders mit einem Gewehr, der präzisesten und am besten dem Körper angepassten Waffe seit der Erfindung von Pfeil und Bogen, eine Art Zen-Praxis. Wenn er den Gehörschutz anlegte und auf ein stehendes Ziel zu schießen begann, entspannte er sich vollkommen. Er versetzte sich dann in eine kleine Welt, die nur aus Waffe und Ziel bestand, die sich selbst genügte und Raff ganz allein gehörte. Die Visierlinie, das kreisrunde Schwarze auf der Scheibe, das Luftanhalten, das sachte Drücken auf den Abzug, alles das war die Welt, die einzig gültige Wirklichkeit, wenn er zum Schießen auf dem Bauch lag. Jeder andere Gedanke war dann verbannt, und jede andere Bewegung hörte auf bis auf das mikroskopische, unwillkürliche Zittern von Arm und Hand und bis auf den Druck am Abzug. Die einzige Variable war die Distanz, wahlweise zwanzig oder fünfzig Yards. Die Entladung der Büchse war kaum wahrnehmbar. Mental bestand das Ziel darin, die Kugel

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