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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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auch Granddog.»
    Granddog hatte Raphael als Kleinkind seinen Großvater genannt, als er ihm zum ersten Mal begegnete.
    Dass Cyrus ihn so herzlich begrüßte, war verständlich. Denn vor ihm stand der einzige männliche Vertreter der nächsten Generation eines ihm direkt verwandten Zweiges der Familie Semmes. Cyrus’ ältere Tochter Charlotte studierte im zweiten Jahr an der Emory University in Atlanta und empörte ihre Eltern mit der Weigerung, der Junior League beizutreten, in der die Töchter der besseren Gesellschaft sich sonst zusammenfanden. Stattdessen hatte sie fest vor, sich nach ihrem Abschluss im Friedenscorps zu engagieren – und danach nie wieder in das «dumpfe, langweilige alte Mobile» zurückzukehren. IhreSchwester Virginia war im vorletzten Jahr der Highschool und ein ganz anderer Fall. Eine auffallend gut aussehende Blondine, die aber viele Flausen im Kopf hatte und sich vor allem für Jungen interessierte; ihre Vorstellung von der Hochkultur beschränkte sich auf die Mädchenkrimis um Nancy Drew und auf Rockkonzerte, und schulisch versprach sie sehr viel weniger als Charlotte.
    Sie betraten die stille Pracht von Marybelle. Wieder einmal war Ainesley, und inzwischen sogar Marcia, beeindruckt – nicht so sehr von der Größe, aber von der Inneneinrichtung, die in beinahe einhundertfünfzig Jahren liebevoller Sorgfalt verschiedentlich ergänzt und verfeinert worden war. An den Wänden der Eingangshalle und des Treppenhauses hing eine wahre Pracht von Ölgemälden der Ahnen. Der Boden war aus original westindischem Mahagoni. Das Treppengeländer, ein Meisterwerk aus geschnitztem Ebenholz, war zweimal im Magazin
Southern Living
präsentiert worden. Und das Tafelsilber, das sie gleich benutzen würden, gehörte zum Familienerbe der Semmes aus dem neunzehnten Jahrhundert.
    Die Gruppe schritt direkt zu dem langen Tisch im Speisezimmer. Das Abendessen hatten eine Köchin und ihr Gehilfe zubereitet; der Gastronomiebetrieb, bei dem sie angestellt waren, war eine Gründung von einer der Junior-League-Frauen, der das Eheglück versagt geblieben war. Aufgetragen wurde das Essen nun von den beiden flinken Hausangestellten der Semmes. Als Vorspeise gab es Krabben-Gumbo nach der unbeschreiblich würzigen Art von Mobile, es folgte ein Salat und als Hauptgericht Rehbraten mit Wachteleiern und Erbsen. Die Erwachsenen tranken kalifornischen Wein, darunter einen Merlot aus dem Napa Valley, den Cyrus sich kürzlich von einemGeschäftspartner hatte empfehlen lassen. Raff und Virginia bekamen Dr Pepper. Zum Nachtisch gab es hausgemachten Pekannusskuchen.
    Das Gespräch ging quer über den Tisch hin und her, so dass alle zuhörten, wenn jemand sprach. Lockere Scherze wichen bald den Familiennachrichten, dann dem Klatsch, und am Ende landete man bei den neuesten Reiseabenteuern und amüsanten kleinen Peinlichkeiten. Cyrus hatte an der University of Alabama studiert, und er kam auf die überdurchschnittliche Leistung zu sprechen, die die Football-Mannschaft Crimson Tide dieses Jahr gezeigt hatte. Wenn Alabama im bevorstehenden Derby seinen Erzrivalen von der Auburn University besiegte, hätten sie die besten Aussichten auf die Meisterschaft der Southeastern Conference. American Football war eine von Cyrus’ Leidenschaften, und er fuhr sogar mit anderen Ehemaligen aus Mobile gelegentlich nach Tuscaloosa hinauf, wenn ein wichtiges Heimspiel anstand.
    «Wenn Trainer Harrison das Spiel gegen Auburn verliert, ist er seinen Job los», witzelte Cyrus. «Wenn er gewinnt, machen wir ihn zum Gouverneur von Alabama.»
    Da schaffte es Ainesley, das Gespräch abrupt verstummen zu lassen.
    «Ich wette, ihr wisst das nicht, aber einer meiner Vettern, Bobby Cody, sie nennen ihn immer Bubba, wisst ihr, der ist linker Tackle bei Auburn. Hat eine super Saison hinter sich, und wie es heißt, spielt er dieses Jahr vielleicht sogar bei der All-American.»
    An dieser Stelle erhob sich Großvater Jonathan; er war verstimmt über die Bemerkung zu Auburn und sichtlich müde, was auf seinen zweiten Herzinfarkt vor vier Monaten zurückzuführen war.
    «Ich hoffe, ihr alle entschuldigt mich. Es war ein langer Tag, aber schließlich war für mich in letzter Zeit jeder Tag ein langer Tag. Marcia, Ainesley und Scooter, natürlich hoffen wir, euch alle bald wieder mal hier zu haben.»
    Virginia ergriff die Gelegenheit, sich ebenfalls zu entschuldigen, weil sie auf ihrem Zimmer noch für eine Geografieprüfung lernen musste, wie sie sagte; eigentlich

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