Ameisenroman
sich selbst eigentlich mindestens genauso hübsch.
Ainesley, der reden konnte wie ein Wasserfall, schaltete urplötzlich um. Traurigkeit trat in sein Gesicht, und er sprach ruhiger weiter, während er in gespielter Reue langsam den Kopf schüttelte.
«Tja, wahrscheinlich habe ich mich hier gerade zum Idioten gemacht. Glauben Sie mir, ich habe noch nie einfach so jemanden angequatscht. Ich hoffe, Sie verzeihen mir, und ich bitte Sie um Entschuldigung, Ma’am, und Sie alle auch.»
Marcia stand stocksteif da. Das Mädchen rechts neben ihr gab ihr lachend einen Rippenstoß, dann wandte sie sich an Ainesley und sagte: «Meinen Sie
mich?»
Ohne eine Antwort ging er quer durch den Raum zurück zu seinen Freunden und stellte sich zu ihnen. Er bemühte sich, seine Gestik und Mimik zugleich ernst und betroffen wirken zu lassen. Er ermahnte die anderen, nicht zu lachen oder zu laut zu reden. Er wusste, dass Marcia und ihre Freundinnen bei ihrem eigenen angeregten Gespräch ständig in seine Richtung blicken würden. Er selbst behielt sie aus dem Augenwinkel ebenfalls flüchtig im Auge.
Später, als die Mädchen Richtung Ausgang gingen, aber keiner von ihnen die Goldmedaille zuerkannt worden war, wandte sich Ainesley bittend an Marcia, indem er die Hände mit gespreizten Fingern offen zu ihr erhob.
«Entschuldigen Sie», sagte er, dann zögerte er. Er wusste, was er sagen wollte, aber in einer Anwandlung, die ihm so gar nicht entsprach, fühlte er sich gerade etwas unsicher. Der Möchtegern-Frauenheld und Gelegenheitsverführer erlitt plötzlich einen Anfall von Aufrichtigkeit.
«Darf ich etwas sagen?»
Marcia blieb höflich stehen. Zwei ihrer Freundinnen blieben bei ihr, bis er endlich seine Worte fand.
«Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich vorhin etwas unhöflich gewirkt habe, als ich auf Sie zukam. Aber Sie sehen wirklich so umwerfend aus. Ich würde mich freuen, wenn ich einfach nur irgendwann einmal mit Ihnen reden könnte, vielleicht bei einer Tasse Kaffee, wie sie im Kino sagen. Das war’s.» Er senkte etwas den Blick, um bescheiden zu wirken, dann fügte er hinzu: «Darf ich Ihnen wenigstens meinen Namen und meine Telefonnummer geben? Und vielleicht können Sie mir Ihre geben? Nur damit ich eine Chance habe, irgendwann mal ein paar Minuten mit Ihnen zu telefonieren, das ist alles. Und dann bin ich weg. Versprochen.»
Ainesley reichte ihr nervös einen Stift und zwei Papierschnitzel, die er von den Tischsets abgerissen hatte. Auf einem standen sein Name und seine Telefonnummer, und auf den anderen sollte sie ihre schreiben. Marcia war hilflos. Das hier kam in ihrem Lehrbuch aus dem Mädchenpensionat nicht vor. Sie versuchte, wenigstens nicht unhöflich zu sein, nahm die Papierschnitzel und sagte:«Danke. Entschuldigen Sie, ich muss jetzt gehen.» Damit schritt sie schnell hinüber zu dem wartenden Kleinbus.
Sie dachte, dafür hätte mir Miss Rhodes in Hartfield ein Sehr gut gegeben. Oder vielleicht auch nicht. Habe ich gerade einen Fehler gemacht?
Ainesley holte eines der Mädchen ein, die bei ihr geblieben waren, und sprudelte hervor: «Schnell, wie heißt sie? Bitte, ich bin ein ordentlicher Kerl. Ich muss es einfach wissen.»
«Marcia Semmes.»
Mit diesem unschuldigen Verrat war Marcias Schicksal besiegelt.
Wenige Tage später machte Ainesley mit einem Telefonbuch von Mobile und Pensacola, in dem nur wenige Semmes aufgelistet waren, Marcia schnell ausfindig.
«Ist Marcia da?», fragte er am Telefon.
«Nein, sie ist heute im College», erwiderte Elizabeth Semmes.
«Am Spring Hill College, vermute ich.»
«Ja. Sie können sie dort erreichen. Von wem darf ich ihr etwas ausrichten?»
«Von einem Freund. Ich rufe sie dort an. Vielen Dank.»
Da er wusste, dass er ihre Nummer in der Schule nicht bekommen würde, wartete Ainesley einfach bis zum ersten Ferienwochenende und rief sie wieder zu Hause an. Diesmal war sie selbst am Apparat.
«Ja, bitte?»
«Hi, ist da Marcia Semmes?»
«Ja. Wer sind Sie?»
«Ich bin Ainesley Cody. Wir haben uns vor einem Monat im FloraBama getroffen. Ich hoffe so ein bisschen, Sie erinnern sich. Ich bin im vierten Jahr an der University ofWest Florida, drüben in Pensacola», log er. «Ich hoffe, Sie verzeihen mir, aber ich wollte Sie nicht belästigen. Als ich Sie gesehen habe, wollte ich einfach nur mit Ihnen reden, wissen Sie, ein paar Minuten vielleicht.» Er bemühte sich, locker zu klingen. «Tja, und da bin ich also. Ich komme nicht zu Ihnen und belästige Sie
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