Ameisenroman
und hockte sich auf das Pferdehaarsofa neben dem Kamin. Wenige Minuten später kam Ellie, die Köchin, mit einem Tablett mit Kakao und Pekannusskuchen. Nach seinem Nachtisch stand Raff auf und erkundete die Bibliothek. Sein Blick fiel auf eine Reihe alter Hefte der
National Geographic
, und er zog aufs Geratewohl fünf davon heraus. Zurück auf dem Sofa, begann er darin zu blättern. Bhutan, Asiens geheimes Königreich. Rumäniens königliche Kunstschätze. Blauer Morphofalter, das fliegende Juwel der Tropen. Louis Pasteur und die geheime Welt der Bakterien. Das unglaubliche Leben im brasilianischen Pantanal. Überall wunderbar funkelnde Bilder von wilden Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum. Naturfotografie, dachte er, das wäre etwas, was mir gefällt. Es gab ja schon hier im Nokobee jede Menge gute Motive. Und nicht weit weg vom Nokobee den knapp achthundert Quadratkilometer großen Sumpf im Delta von Mobile und Tensaw River, dort lebten Bären und Hirsche. Ein fast undurchdringlicher Dschungel, sagten die Leute.
Etwa eine weitere Stunde später betrat Cyrus mit Marcia und Ainesley die Bibliothek. Sie rückten Stühle zusammen, um sich zu Raff zu setzen. Allmählich wurde er nervös. Hatten sie etwas über seine verbotenen Ausflüge am Nokobee und Chicobee herausgefunden? Sollte dies ein Verhör über seine Lügen und seine kriminellen Machenschaften werden?
«Wir haben über dich gesprochen, Scooter, und über deine Zukunft», sagte Cyrus. «Wir überlegen da etwas.Für die Zeit nach dem College, hast du schon einmal daran gedacht, Jura zu studieren? Weißt du, so wie ich damals an der University of Alabama?»
Raff war erleichtert. Er sollte also doch nicht verhört und verurteilt werden.
«Daran habe ich noch nie gedacht», sagte er. «Und ich glaube nicht, dass ich Anwalt oder so etwas werden will.»
«Nun ja, sehen wir uns das doch einmal genauer an», fuhr Cyrus fort. «Wahrscheinlich ist dir nicht klar, dass du mit einem Abschluss in Jura nicht Anwalt werden musst, wenn du nicht willst. Du kannst das, was du im Jurastudium lernst, für alle möglichen anderen Berufe nutzen. Du kannst einen gut bezahlten Job in der Wirtschaft bekommen. Du kannst sogar bei der Regierung arbeiten. Du kannst eine Stelle im Militär antreten. Damit hat dein Dad schon Recht. Und du kannst zum Beispiel in der Verwaltung oder der Rechtsberatung arbeiten und musst dann nie in den Einsatz, wenn es Krieg gibt.»
Ainesley nickte und setzte zum Sprechen an. «Ich habe dir ja schon immer gesagt, mein Sohn …»
Cyrus unterbrach ihn mit erhobener Hand. Dann lächelte er und wackelte mit den Fingern.
«Und dann gibt es noch etwas anderes, das dir sofort gefallen dürfte. Du kannst in einem Umweltschutzverband arbeiten und dich für Naturparks und die Umwelt einsetzen. Anders gesagt, mit einem Juraabschluss hast du alle möglichen Optionen. Ich bin sicher, dass du da wirklich Erfolg hättest und sehr glücklich wirst.»
«So hatte ich darüber wirklich noch nicht nachgedacht», sagte Raff. «Ich denke mal …»
Cyrus, der geübte Verhandlungspartner, schaltete sichschnell ein. «In Ordnung, dann will ich dir ein Angebot machen. Du wirst zugeben müssen, dass es ein wirklich gutes Angebot ist, aber es gilt unter einer Bedingung. Und zwar: Wenn du versprichst, dass du nach dem College Jura studierst, dann übernehme ich alle Gebühren für jedes anständige College, in das du es schaffst, und bezahle das Jurastudium noch obendrein.»
Einen Moment lang saß Raff wie betäubt da. Dann stützte er sich mit den Händen auf, um so gerade zu sitzen wie möglich; zwei der
National-Geographic
-Hefte fielen dabei mit einem klatschenden Geräusch zu Boden. Er beugte sich vor, um sie aufzuheben, überlegte es sich aber anders und setzte sich zurück, während er seinen weisen und mächtigen Onkel Cyrus staunend anblickte, wie er da vor ihm saß und ihn anlächelte. Dann warf er einen Seitenblick auf Ainesley und Marcia. Auch sie lächelten und nickten unmerklich. Nimm das Angebot an, Sohn, bedeuteten sie ihm. Nimm es an.
Cyrus blickte nun leicht enttäuscht drein und sagte: «Also, ich erwarte nicht, dass du jetzt sofort entscheidest, wenn du nicht willst. Ich weiß schon, das ist eine wirklich schwerwiegende Entscheidung. Lass dir ruhig ein bisschen Zeit, fahr vielleicht nach Hause, und sag mir Bescheid, wenn du so weit bist, ja?»
Raff rührte sich nicht. Noch eine Minute lang saß er reglos da, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen,
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