Ameisenroman
Beinahe-Drama mit der Wassermokassinotter mit Leichtigkeit aus.
«Wenn du einen Rat willst, Raff», sagte ich lächelnd, «wenn du dich unbedingt von einer Klapperschlange beißen lassen musst, dann nimm nicht gerade eine Diamant-Klapperschlange. Ich würde dir eine Zwergklapperschlange raten. Das ist die kleinste Art, weißt du. Schlimmstenfalls ist dann eine Woche lang dein Arm oder Bein geschwollen. Aber Spaß beiseite. Ich würde sagen, der beste Rat, den ich dir oder sonst jemandem geben kann, lautet, sich mit Giftschlangen überhaupt nicht einzulassen, Punkt. Wenn du aus irgendeinem Grund mit einer fertigwerden musst, und selbst wenn du ganz sicher bist, dass es keine giftige Art ist, nimm immer einen Schlangenstock und ein Netz.»
«Ich versuche ja schon, giftigen Arten gar nicht erst nahe zu kommen», sagte Raff.
Das glaubte ich nicht, denn ich stellte mir vor, dass er so ähnlich drauf war wie ich in seinem Alter, aber ich behielt die Bemerkung für mich.
«Gut», erwiderte ich. «Und wenn man auf Exkursion ist, ist es immer sinnvoll, jemanden dabeizuhaben. Ach ja, und man sollte immer wissen, wo das nächste Krankenhaus ist, das Gegengifte vorrätig hat.»
Ich machte eine Pause, als ein riesiger Rasenmäher mit einem Arbeiter auf dem Fahrersitz vor dem offenen Fenster meines Büros vorbeibrummte. Der Geruch von frisch geschnittenem Gras drang herein. Während wir warteten, dachte ich: Tja, da sind sie, die beiden Symbole unserer Mittelklassenkultur: Lärm und Rasen, sie fressen auf, was von der natürlichen Welt noch übrig ist.
Unser Gespräch versiegte. Ich sah auf die Uhr. Raff aber wollte eigentlich nicht gehen.
«Es geht ja nicht nur um Schlangen», sagte er. «Es existieren Unmengen von Frosch- und Salamanderarten am Nokobee. Ich dachte, ich könnte mal herausfinden, ob darunter ein paar besondere Arten sind, die in Schlauchpflanzensümpfen leben. Es muss davon welche im Nokobee geben, aber ich bin einfach noch nicht dazu gekommen, das zu untersuchen.»
An der Tür war eine junge Studentin erschienen, mit der ich den nächsten Termin hatte, sie lächelte breit und schleppte einen ganzen Arm voller Bücher mit. Zehn Kilo Übergewicht, Brille, künstlich verwaschene Jeans und ein weites T-Shirt ohne BH – in einem Wort, eine Studentin des emanzipierten Amerika. Ich stand auf und bat sieherein. Auch Raff stand auf, sprach aber noch immer weiter, als wir das Büro durchquerten.
«Was ich auch noch untersuchen möchte, sind die Nusseiben an den Steilhängen am Apalachicola River. Nur da wachsen sie noch wild, und wie ich höre, sind sie im Aussterben begriffen.»
«Ja, ja», sagte ich leicht ungeduldig. «Daran ist ein Pilz schuld. So etwas wie der Kastanienrindenkrebs für die amerikanische Kastanie.»
Nusseiben – nach dem Geruch ihres Holzes auch «Stinkzedern» genannt – sind Koniferen, die im äußersten Süden zurückblieben, als sich vor zehntausend Jahren die kontinentalen Gletscher zurückzogen. Die meisten, aber nicht alle kältetoleranten Pflanzen zogen sich mit den Gletschern zurück. Die Nusseiben entschieden sich fürs Bleiben.
«Ein paar davon konnten sie in einer Baumschule in der Nähe von Clayville kultivieren.» Raff redete auch dann noch weiter, als ich die andere Studentin per Handschlag begrüßte. «Sie machen hübsche Zierbäume daraus, und die kultivierten sind nicht von dem Pilz befallen.»
«Ja, ja», sagte ich. «Okay. Wir machen gelegentlich Exkursionen an die Steilhänge des Apalachicola. Beim nächsten Mal kannst du mit mir und anderen Studenten mitkommen. Auf bald dann.»
Endlich ließ Raff locker und ging. Dieser Junge, dachte ich, hat seinen Platz gefunden.
17
D a Raphael Semmes Cody jetzt an der Florida State University war, wurde ich ganz selbstverständlich sein erster College-Mentor. Zu seinem zweiten Mentor kam er durch seine Teilnahme am Einführungskurs Entomologie. William Abbott Needham war eine weltweit anerkannte Autorität für Käfer. Das war keine geringe Leistung, denn die Wissenschaft kennt 400.000 Käferarten, und wahrscheinlich doppelt so viele harren noch ihrer Entdeckung. Auch für den Baumwollkapselkäfer war er der führende Spezialist, diesen Schädling, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf den Baumwollfeldern der Südstaaten schweren Schaden angerichtet hatte. Wegen seiner Hingabe an sein Thema und seines fachlich hervorragenden Rufes war er ständig von einem Pulk ergebener Masterstudenten umgeben. Man sprach ihn
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