Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
freundlich.
Ehe ich ihn mit einer passenden Antwort zerschmettern konnte, sagte Walter: »Ich verstehe das einfach nicht. Die Männer hätten doch mit der Mumie verschwinden können, bevor sie uns davon erzählten. Und was ist mit den Bandagen, die du abgenommen hast?«
»Das ist ganz einfach«, erklärte Emerson. »Die konnte ich nicht abwickeln, weil sie zu einer soliden Masse zusammengebacken waren. Ich mußte sie also über der Brust aufschneiden. Und du weißt ja selbst, daß die Körperhöhlungen oft Amulette und Schmuckstücke … Peabody, was ist denn los?«
Seine Stimme wurde zum Insektensummen, und die Sonne verdunkelte sich. Hätte der Mond höher gestanden, hätte ich meinen nächtlichen Besucher genauer gesehen, wäre dann auch die klaffende Öffnung zu erkennen gewesen?
Ich freue mich, sagen zu können, daß dies das erste und letztemal war, daß ich einem Aberglauben nachgab. Als ich die Augen wieder öffnete, wurde mir klar, daß Emerson mich trug, und sein besorgtes Gesicht lag nahe an dem meinen, aber ich schob seine stützenden Arme weg.
»Eine momentane Schwäche«, tat ich sehr gleichmütig, ließ mich aber von Walter zu einem Sitz führen.
»Sie überanstrengen sich, Miß Peabody«, warnte er mich ehrlich besorgt. »Heute müssen Sie ruhen, darauf bestehe ich.« Sein Bruder musterte mich nur.
Die ganze Atmosphäre war irgendwie gespannt oder unruhig; erst arbeitete ich ein bißchen am Pflaster, doch dann ging ich dorthin, wo Walter und Abdullah die Arbeiter beaufsichtigten. Etwa fünfzig Männer gruben die Fundamente eines Tempels und verschiedener Häuser aus dem Sand; Kinder schleppten ihn körbeweise weg und schüttelten ihn wahllos dorthin, wo man vermutlich wenig später graben würde. Meistens sangen und lachten sie bei der Arbeit, denn die Ägypter sind von Natur aus fröhliche Menschen, doch diesmal war von ihren etwas jammernden heiteren Gesängen nichts zu hören. Ich fragte Abdullah nach dem Grund.
»Es sind unwissende Menschen, die sich vor Dämonen und unbekannten Dingen fürchten«, erwiderte er ein wenig zögernd. »Und vor den Geistern der Toten. Sie fragen, wohin die Mumie verschwunden ist.«
Mehr wollte oder konnte er nicht sagen, und ich kehrte ziemlich beunruhigt zu meiner Arbeit am Pflaster zurück. Wie sollte ausgerechnet ich mich über die Eingeborenen erhaben fühlen, da ich selbst doch auch mit solchen Gedanken gespielt hatte?
Der freundliche Leser wird fragen, weshalb ich nicht über mein Abenteuer gesprochen habe. Nun, das ist ganz einfach: Ich wollte nicht ausgelacht werden. Emersons Lachen hätte sicherlich durch das ganze Tal gedröhnt, hätte ich ihm erzählt, daß ich seine kostbare Mumie auf einem nächtlichen Spaziergang ertappt hatte. Und doch meinte ich, darüber sprechen zu sollen, und so plagte ich mich den ganzen Tag über mit Eitelkeit und Vernunft herum.
Als wir uns abends auf dem Sims trafen, sah ich sofort, daß die anderen auch keinen guten Tag hinter sich hatten. Walter beklagte sich, nichts sei vorangegangen, der Tag sei eine glatte Verschwendung gewesen.
Wir gingen alle sehr früh zu Bett; Emerson brauchte seinen Schlaf, wenn er am folgenden Tag die Ausgrabungen wiederaufnehmen wollte, und für mich war die vergangene Nacht auch sehr kurz gewesen.
Aber ich schlief schlecht, und als ich gegen Morgen einmal aus einem schweren Traum aufwachte, sah ich eine weiße Gestalt unter der Tür stehen, und ich tat einen leisen Schrei.
Aber es war Evelyn, und sie huschte schnell zu meinem Bett. »Amelia, ich hörte einen langen, gräßlichen Seufzer, es war unheimlich. Ich wollte dich nicht aufwecken. Aber ich mußte wissen, wer solche Seufzer ausstieß, weil sie nicht aufhörten. Und als ich zur Tür ging und den Vorhang aufhob … Amelia, du wirst mich auslachen und mir nicht glauben, was ich sah.«
»Was war es, Evelyn? Sag es mir doch.«
»Eine blasse Gestalt ohne Gesicht, Amelia! Sie hatte nur ein flaches, blasses Oval ohne Augen, und die Gliedmaßen standen starr weg …«
»Genug davon!« rief ich ungeduldig. »Du scheinst … , du hast … , das muß eine Mumie gewesen sein.«
Evelyn starrte mich ungläubig an. »Dann mußt du … das Ding selbst gesehen haben. Wann? Und wie?«
»Ich sah das Ding vergangene Nacht, und am Morgen fand ich vor unserer Grabkammer Bandagenstücke. Und in der Nacht war auf geheimnisvolle Art unsere Mumie verschwunden. Ich sagte davon nichts, weil es mir selbst zu lächerlich erschien.«
»Lächerlich,
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