Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
Hauptkorridor wies eine tiefe Grube auf, und so mußten wir noch einmal umkehren und einen anderen Weg nehmen. Wir kamen durch drei kleine Räume mit halbverfallenen Reliefs, die den Tod und das Begräbnis einer königlichen Prinzessin darstellten, einer von Khuenatens Töchtern. Sie war jung gestorben und sah auf der Darstellung sehr pathetisch aus. Der Kummer der Eltern war eigenartig rührend. Fast hörte man ihre Seufzer …
Und was ich in diesem Moment hörte, war, wie ich meinte, auch ein Seufzen oder Stöhnen, und dann krachten Steine herab. Mich überlief eine Gänsehaut, und ich ließ die Kerze fallen. Das, was ich dann sagte, war nicht sehr damenhaft, und deshalb wiederhole ich es hier nicht.
Emerson bediente sich einer noch viel kräftigeren Sprache, als er auf dem steinübersäten Boden herumkroch, um meine Kerze zu finden. Dann schaute er mich prüfend an. »Peabody, Sie sind zwar eine Frau, aber keine Närrin«, sagte er. »Sie wissen, was dieses Geräusch zu bedeuten haben könnte. Sie werden doch nicht schreien oder ohnmächtig werden?«
Ich warf ihm einen Blick zu, der ihn eigentlich zum Verwelken hätte bringen müssen, und verließ schweigend die Grabkammer. Emerson folgte mir. Allerdings hatte ich für die Reliefs nicht mehr viel Sinn, denn ich konnte mir vorstellen, was uns am Eingang erwartete.
Wir gruben lange, sehr lange, bis wir einiges von dem gestürzten Gestein weggeschafft hatten. Eine Kerze war schon niedergebrannt, und die zweite war auch schon sehr klein. Endlich hörten wir von draußen ein Geräusch, dann sogar Worte, arabische Worte – und Abdullahs Stimme. Er wollte wissen, ob wir drinnen seien.
»Natürlich sind wir hier«, schrie Emerson erbost. »Du Sohn eines blinden, krummbeinigen Esels, wo sollten wir sonst sein?«
Dieser Frage folgte ein schauerliches Freudengeheul. Ihm folgte eine andere Stimme. »Nur Mut, Miß Amelia! Lucas ist am Werk!«
Obwohl ich nun, da ich dies schreibe, allein bin, zögere ich, die Gedanken, die mich da überfielen, zu Papier zu bringen. Emerson war kein Schwächling, doch als er seine Brust an die meine drückte, ahnte ich seine Stärke, und ich dachte … und erwartete … Nun, warum soll ich’s nicht zugeben? Ich dachte also, er umarme mich, weil die Freude über die unerwartete Rettung seinen Geist verdunkelt habe.
Bald wurde mir jedoch klar, wie absurd das war. Ein fürchterliches Rattern folgte, große Steine und Felsbrocken kollerten herab und krachten an die Wände, und wer weiß, was mir passiert wäre, hätte Emerson mich nicht mit seinem Körper geschützt. Ich war ganz außer Atem, als er mich losließ, er aber auch. Wir pumpten uns mit der heißen, sauberen Luft von draußen voll, doch nach der Dunkelheit blendete uns die Sonne.
Da sah ich, daß Emerson an der Wand lehnte und sein Arm in einem sonderbaren Winkel vom Körper wegstand.
Dicker Schweiß lief ihm über das verstaubte Gesicht. Abdullah und Lucas kletterten über die Felsen herauf.
»Du verdammter Narr«, sagte er zu Abdullah.
»Oh, Herr, du bist ja verletzt«, stellte Abdullah fest.
»Mir fehlen die Worte … Ein erfahrener Vormann und anschieben wie eine Ramme … du Vollidiot …«
»Ich sagte ihm, er soll langsam tun, aber mein Arabisch ist eben sehr dürftig«, warf Lucas ein, und seine schuldbewußte Miene bestätigte mir, daß wohl er an dem Unglück schuld sein müsse.
»Ist Ihr Arm gebrochen?« fragte ich Emerson.
»Nein, ausgerenkt.« Er biß die Zähne zusammen. »Ich muß zurück. Walter weiß, wie …«
»So weit können Sie nicht laufen.«
»Kann ich, wenn ich muß«, widersprach er, aber seine Knie wurden weich.
»Sie müssen ja gar nicht«, erklärte ich ihm. »Ich weiß, wie unser Arzt zu Hause das macht. Wenn Sie also … Spaß wird es Ihnen keinen machen.«
»Ihnen auch nicht«, erwiderte er.
Ich ziehe es vor, die Prozedur nicht zu beschreiben, wir waren wirklich alle froh, als sie vorüber war. Zum Glück hatte Abdullah Wasser mitgebracht, und wir konnten unseren Durst löschen. Ich opferte einen meiner Unterröcke und band Emersons Arm an seinen Körper, um ihn ruhigzustellen. Leider machte er dazu wieder ein paar ganz ungehörige Bemerkungen.
Der Rückweg war lang und mühsam, aber Lucas erzählte uns, wie er uns zufällig gefunden habe. Der Besitzer seines Esels hatte ihn und das Tier im Stich gelassen, als er zum Lager ritt, und jetzt wollte er den Esel zurückhaben. »Ich bot ihm an, das elende Tier zu kaufen, damit es Evelyn zur
Weitere Kostenlose Bücher