Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
ich immer den Eindruck«, widersprach ihm Emerson, »daß es weniger die Unwissenden waren, die sich vom Geld verführen ließen.«
»Und ich kann nicht glauben, daß mein treuer Michael mich verlassen will, und deshalb werde ich dann auch mit ihm sprechen«, erklärte ich bestimmt.
Zu meinem Bedauern muß ich zugeben, daß Lucas recht behielt. Michael war nirgends zu finden, doch daß er tatsächlich verschwunden war, stellten wir erst fest, als wir unsere Vorbereitungen für die Nacht trafen. Die Diener von Lucas waren längst gegangen, und so konnte ich sie nicht nach Michael fragen. Natürlich machte Lucas sehr abfällige Bemerkungen über ihn. Schließlich drängte er, wir sollten unsere Pläne machen.
»Nun, dann lassen Sie hören, was Sie zu sagen haben«, forderte ihn Emerson auf.
Ich konnte mir gar nicht vorstellen, weshalb Emerson Lucas’ Vorschlägen so aufgeschlossen begegnen wollte, denn ich wußte, wie wenig er von ihm hielt. Lucas war schließlich viel jünger und auch recht unerfahren.
»Na, schön.« Lucas blies sich sichtlich auf. »Ich sehe keine Notwendigkeit, das Dorf zu bewachen. Wenn Ihr Schurke Sie verjagen will, dann kommt er hierher, und hier müssen wir auch unsere Kräfte konzentrieren, ohne jedoch etwas davon sehen zu lassen. Sie haben ihn ja schon einmal verscheucht. Er kam ja, wenn man Miß Amelias Aussagen Glauben schenkt, bis zum Eingang ihrer Wohnung …«
»Und da war er auch!« fuhr ich auf.
»Sicher, gewiß … Ich wollte ja auch nicht … Und als Evelyn ihn in der folgenden Nacht sah, kam er vielleicht nur bis zum unteren Hang. Zum Sims kam er sowieso nie. Er scheint gewußt oder mindestens geahnt zu haben, daß Sie auf ihn warten.«
Ich spürte Walters wachsenden Zorn über Lucas’ Überheblichkeit und war daher gar nicht erstaunt, daß er, nur mühsam beherrscht, einwarf: »Sie möchten also unterstellen, Lord Ellesmere, daß dieses elende Wesen Abdullah und mich sah. Ich versichere Ihnen …«
»Nein, mein Lieber, ich möchte nur sagen, daß Ihr Freund Mohammed vorher gewarnt worden war!« Emer
sons Protestschrei überhörte er großzügig und fuhr fort: »Ja, Michael, er muß mit den Dorfbewohnern zusammenarbeiten. Ganz gewiß haben sie ihm einen Beuteanteil versprochen.«
»Beuteanteil?« rief Evelyn außerordentlich empört. »Die sind ja so arm, daß sie nicht einmal ihre Kinder kleiden können.«
»Ich sehe schon, es wurde nicht völlig durchdacht«, erwiderte Lucas überlegen. »Ich habe ja einigen Abstand von den Dingen, die in den letzten Tagen hier passiert sind. Ich fragte mich nämlich nach den Motiven dieser Menschen. Bosheit ist keine ausreichende Erklärung, denn sie brauchen das Geld, das ihnen bezahlt wird. Aber diese Fellachen haben seit Jahrhunderten die Gräber ausgeraubt, und ihre Funde füllen die Läden in Kairo und Luxor. Ihr Archäologen beklagt euch, daß euch die Einheimischen bei jedem Grab eine Nasenlänge voraus sind. Ich nehme daher an, daß die Dorfbewohner kürzlich ein Grab mit vielversprechendem Inhalt entdeckten, sonst würde ihnen nicht soviel daran liegen, Sie wegzutreiben, bevor Sie es finden können.«
Natürlich hatte ich darüber auch schon nachgedacht, den Gedanken aber wieder verworfen. »Das hieße ja«, gab ich zu bedenken, »daß die Dorfbewohner mit Mohammed unter einer Decke steckten. Wenn Sie jedoch den zitternden alten Bürgermeister gesehen hätten …«
»Damen sind immer zu vertrauensselig, und die Dorfbewohner sind Lügner und Schurken«, unterbrach mich Lucas.
»Wenn ein solches Grab existierte, könnte mich nur ein Erdbeben vertreiben«, erklärte Emerson.
»Natürlich«, pflichtete ihm Lucas bei. »Um so mehr Grund, die Mumie zu fangen, ehe sie ernstlichen Schaden anrichten kann.«
»Das Problem ist noch lange nicht gelöst, wenn wir die Mumie fangen«, gab Walter zu bedenken. »Sie sagten doch selbst, das ganze Dorf wisse, daß die Mumie nur ein Schreckgespenst ist. Selbst wenn wir sie fangen, ändert das nichts an der Absicht, uns zu vertreiben.«
»Aber wir haben eine Geisel, den Sohn des Bürgermeisters. Er muß uns zu dem Grab führen, und dann bitten wir in Kairo um Verstärkung. Und wir können die Bootsmannschaften zur Bewachung des Grabes abstellen, wenn wir erst den Fluch als unwirksam entlarvt haben. Sie halten die Dorfbewohner sowieso für Wilde. Gemeinsam ist ihnen nur die Angst vor den Toten.«
»Ich glaube niemals, daß Michael der Verräter ist«, sagte ich, »aber wenn, dann wird er
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