Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
während eines Kampfes abgerissen worden sein. Ich suchte nach weiteren Beweisen, fand aber nichts mehr.
Die Zeit verging sehr schnell, weil ich mich so in diese mysteriöse Sache vertieft hatte. Da hörte ich von draußen ein Geräusch. Ich legte mich platt auf den Boden, hob eine Zeltkante an und spähte hinaus.
Nichts war zu sehen, nicht einmal die Eingänge zu den Gräbern. Das war also ungünstig, denn ich wollte ja Evelyn beistehen können, falls sie von der Mumie angegriffen wurde; wenn ich ehrlich war, so glaubte ich nicht, daß sie hinter mir her war. Ich kroch also aus dem Zelt zum Ende eines niederen Felsrückens und schaute mich vorsichtig um.
Fast hätte ich aufgeschrien, denn nur ein paar Schritte entfernt sah ich das Ding, direkt hinter dem Felsrücken. Wir behaupten alle, nicht abergläubisch zu sein, da wir einem aufgeklärten Zeitalter entstammen, aber tief innen wimmerte ich doch. Es war auch ein schrecklicher Anblick.
In diesen Breiten läßt die klare, trockene Luft jeden Umriß deutlich hervortreten, doch das Mondlicht kann auch trügen. Helle Gegenstände nehmen eine bläßlich grüne Farbe an, die an Knollenblätterpilze erinnert, und so sah auch die Mumie aus, die aus sich heraus ein wenig zu leuchten schien. Die bandagierten Hände glichen den Stummeln von Leprakranken, und sie waren wie zur Anrufung eines Gottes erhoben. Sie hatte mir den Rücken zugewandt; der Kopf war leicht nach rückwärts geneigt, als schauten die augenlosen Höhlen zum Sims.
Evelyn mußte nun gleich das Grab verlassen und dem Sims folgen. Vier starke Männer lagen in der Nähe auf Lauer. Und da tauchte auch schon ihr Licht unter dem Eingang der Grabkammer auf. Sie schaute zu den Sternen hinauf, und ich wußte, daß sie nun ihren ganzen Mut zusammennahm. Sie konnte die Mumie nicht sehen, denn in dem Augenblick, da sie aus der Kammer trat, war das
Ding am Fuß der Klippe hinter einem Felsen verschwunden.
Ich habe vorher erwähnt, daß vier starke Männer warteten, doch dessen konnte ich nicht so völlig sicher sein. Wenn Emerson auch über mich immer schnieft, so bin ich doch keine dumme Person, denn ich hatte mir bereits etwas überlegt, das auch meinen intelligenteren Lesern schon eingefallen sein mußte. Mein Gehirn arbeitete also fieberhaft.
Walter hatte fest und steif behauptet, Mohammed habe das Dorf nicht verlassen, als uns die Mumie besuchte. Und ich mußte, wenn auch ungern, Emerson darin beipflichten, daß ein solches Komplott von dem Ägypter kaum zu erwarten sei. Mohammed war für solche Überlegungen viel zu wenig intelligent, sie entsprachen eher europäischromantischen Vorstellungen.
Wenn also Mohammed nicht die Mumie war, wer dann? Ein bestimmter Name hatte sich in meinem Kopf eingenistet, denn dahinter steckte nicht nur eine fruchtbare, wenn auch oberflächliche Intelligenz, sondern auch ein bizarrer Sinn für Humor.
Die größte Frage war dabei die nach dem Motiv. Warum sollte Lucas, Lord Ellesmere, seine Base auf so absurde Art erschrecken wollen? Oder wollte er mir Angst einjagen? Ich konnte mir nur vorstellen, daß Lucas Evelyn so zu ängstigen versuchte, daß sie bei ihm Schutz suchte und Ägypten verließ. Er war aber nicht gescheit genug, zu erkennen, daß ein solcher Plan nicht gelingen konnte.
Ich hielt also Lucas für den Schurken, und ich wollte auch, daß er’s war: ein gefährliches Krokodil, das dem Liebsten seiner Geliebten auflauerte, um selbst ihr Herz zu gewinnen. Der Instinkt einer Frau, finde ich, liegt immer richtiger als die Logik. Deshalb wartete ich ja auch so gespannt, ob Lucas zu Evelyns Rettung herbeieilen würde.
Evelyn folgte dem Pfad, der sie aus der Sicherheit wegführte, und ich bangte ehrlich um sie. Sie spielte die Gleichmütige. Als sie an Walters und seines Bruders Quartier vorüberging, warf sie nur schnell einen Blick auf den Eingang; dann straffte sie die Schultern und lief weiter.
Endlich hatte sie den Sand erreicht. Ginge sie hier weiter, so käme sie viel zu nahe an der Mumie vorüber. Vielleicht hatten die Männer noch gar nichts gesehen, und die Absichten dieser Kreatur kannte ich ja auch nicht.
Evelyn ging auf den Steinblock zu, hinter dem die Mumie versteckt lag. Doch sie war nicht mehr da! Während ich Evelyn mit den Augen verfolgt hatte, mußte sie davongehuscht sein. Wo war sie jetzt? Und wo waren unsere mutigen Verteidiger? In der tiefen Stille hörte ich mein Herz heftig pochen.
Dann bemerkte ich am Fuß des Pfades eine Bewegung, direkt
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