Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
meine Freunde im Stich lasse. Nein, sag jetzt nichts. Ich befehle eurer Mannschaft, euch sofort sicher nach Luxor zu bringen, aber ich bleibe. Ich würde mich selbst verachten, würde ich jetzt fliehen.«
»Und ich reise nur ab, wenn die Emersons mitkommen«, erklärte ich. »Übrigens, Lucas, mit meiner Mannschaft verhandle ich selbst. Der Ihren können Sie befehlen, was Sie wollen.«
»Hm«, brummte er und ging, dies zu tun.
Evelyn ließ den Kopf hängen, und ich rief nach Reis Hassan, um einen neuen Versuch zu machen, die Sprachbarriere zu durchbrechen. Er sagte immer nur »gehen« und deutete flußaufwärts.
»Emerson?« fragte ich und deutete zum Lager.
Er nickte heftig. »Heute«, sagte er, und das wiederholte er mehrmals. Die Araber benützen viel häufiger das Wort ›morgen‹, es liegt ihnen viel besser. Deshalb sagte ich es auch.
Hassans Gesicht zog sich in die Länge, dann zuckte er resigniert die Achseln. »Morgen«, wiederholte er.
10. Kapitel
Kurz nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg. Der Sand glühte blaßgolden, die Sonne schien schon grell. Wir unterhielten uns kaum. Ich machte mir Sorgen um Evelyn. Wie sollte ich sie von ihren seltsamen Ängsten befreien?
Die erste Person, die uns entgegenkam, war Walter. Er trug den verletzten Arm in der Schlinge, schien sich aber sonst wohl zu fühlen. Ich freute mich sehr darüber. Er gab zwar zuerst mir die Hand, schaute dabei jedoch Evelyn an.
»Ich bin sehr erleichtert, Sie zu sehen«, sagte er, »und ich war sehr böse auf Radcliffe, als er mir sagte, daß Sie gegangen seien.«
»Um uns brauchten Sie sich keine Sorgen zu machen«, erwiderte ich. »Wir waren um Sie besorgt. Wo ist Ihr Bruder?«
»Raten Sie«, meinte er lächelnd.
»Wahrscheinlich hat er in meiner Abwesenheit die Grabungen wiederaufgenommen. Hat er denn gar kein Gewissen? Hat er etwas gefunden? Etwa neue Malereien?«
»Miß Amelia, woher wissen Sie das?« rief Walter erstaunt.
»Ich kenne Ihren Bruder doch. Er ist zu jeder Dummheit fähig, wenn es um Altertümer geht. Wo ist er? Ich habe mit ihm zu reden.«
»Das Pflaster ist nicht weit von dem zerstörten entfernt. Aber …«
»Keine Widerrede!« unterbrach ich ihn. »Ihr kehrt jetzt alle ins Lager zurück, und ich hole Emerson.«
Ich hatte mich in einen richtigen Zorn hineingesteigert, als ich ihn fand. Er kauerte fast unsichtbar auf dem Boden, und fast wäre ich über ihn gestolpert. Er war so in seine Arbeit vertieft, daß er mich nicht hörte, und ich versetzte ihm daher mit meinem Sonnenschirm einen ziemlich kräftigen Schlag auf die Schulter.
»Oh, Sie sind’s, Peabody«, sagte er. »Wer sonst würde einen Mann zur Begrüßung über den Kopf schlagen?«
Ich hockte mich neben ihn auf die Fersen. Daran hatte ich mich gewöhnt, und meine Knie protestierten längst nicht mehr dagegen. Er hatte ein Stück von etwa drei Fuß im Quadrat gesäubert. Auf dem blauen Grund, der Wasser bedeutet, schwammen drei herrlich geformte Lotosblüten mit grünen Blättern.
»Aha, Sie wollten also nur in Ruhe arbeiten. Sie sind doch der größte Egoist, den die Welt je gesehen hat! Und welche Zeitverschwendung, den Sand mit bloßen Händen wegzuschaufeln! Auf die Art legen Sie niemals das ganze Pflaster frei.« Da er nicht antwortete, fuhr ich fort:
»Sind Sie denn gar nicht neugierig? Wollen Sie nicht wissen, was vergangene Nacht geschehen ist?«
»Weiß ich doch«, antwortete er. »Ich war in aller Morgenfrühe beim Boot und habe mit Hassan gesprochen.«
Er sah sehr müde aus, das stimmte, aber ich brauchte eine Weile, um mich von meiner Verblüffung zu erholen. »Und was halten Sie davon?« fragte ich.
»Es ging genau, wie ich vermutete. Die Mumie erschien und wurde von Ihnen …«
»Von Lucas.«
»Seine Lordschaft schien nicht besonders nützlich gewesen zu sein, denn sein Kollaps hat die Mannschaft zur Panik getrieben. Selbst Reis Hassan, der gewiß kein Feigling ist, hat jetzt Angst. Hat der Lord sich wenigstens von seinem Angstanfall erholt?«
»Ich weiß wirklich nicht, was mit ihm war und warum er ohnmächtig wurde. Aber ein Feigling ist er nicht.«
Emerson zuckte die Achseln und räumte weiter Sand weg.
»Sind Sie denn ganz von Sinnen?« fuhr ich ihn an. »Ein Pflaster haben Sie schon vernichtet, und wenn Sie das hier freilegen, geschieht es wieder so. Die einzige Sicherheit liegt darin, daß es keiner sieht.«
»Dieses Pflaster ist nicht meine größte Sorge. Besser, wir verlieren dieses Mosaik als Miß
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