Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
während er die Arbeit der Zimmerleute überwachte, erweckten in mir die schlimmsten Vermutungen. Er schien sich seiner selbst sehr sicher zu sein. War es wirklich möglich, daß er, was die Identität von Lord Baskervilles Mörder anbelangte, richtig lag und ich mich geirrt hatte? Ich konnte das nicht glauben. Trotzdem beschloß ich, daß es ratsam sein könnte, meinen Gedankengang im Licht der jüngsten Ereignisse noch einmal durchzuspielen. Falls es nötig werden sollte, konnte ich mir ja immer noch einen Weg einfallen lassen, den Namen im Umschlag zu ändern.
Ich blätterte die Seite in meinem Skizzenblock um, ließ die Töpfe links liegen und widmete mich meinem Fall. Ich beabsichtigte, eine ordentliche kleine Tabelle zu erstellen, und die verschiedenen Motive, Gelegenheiten zur Tat und so weiter darin festzuhalten.
Also begann ich.
Der Tod von Lord Baskerville
Verdächtige: Lady Baskerville
Motiv zum Mord an:
Lord Baskerville. Erbschaft. (Wieviel Lady Baskerville erben würde, wußte ich natürlich noch nicht; aber ich war mir sicher, daß das als Grund für die Beseitigung ihres Gatten genügen würde. Allen Aussagen zufolge mußte er ein außergewöhnlich langweiliger Mensch gewesen sein.)
Armadale. Er war Zeuge des Verbrechens gewesen. Das Zimmer, in dem er gewohnt hatte, lag neben dem von Lady Baskerville. (Allerdings erklärte das nicht, warum Armadale verschwunden war. Hatte er vor Entsetzen den Verstand verloren, nachdem er mitangesehen hatte, wie Lady B. ihren Gatten ermordete? Und wie, zum Teufel, – wie Emerson gesagt hätte – hatte sie ihn niedergemetzelt? Wenn ein unbekanntes, nicht zu ermittelndes Gift benutzt worden wäre, hätte Armadale bloß gesehen, wie Lord Baskerville eine Tasse Tee oder ein Glas Sherry trank.)
Hassan. Hassan hatte Armadale gesehen und etwas beobachtet – möglicherweise eben das nämliche Fenster, durch das der »Geist« gestiegen war –, was die Identität des Mörders verriet. Erpressungsversuch; Beseitigung des Erpressers.
Zufrieden las ich den letzten Abschnitt noch einmal durch. Es ergab Sinn. Eigentlich kamen die Motive für den Mord an Hassan bei allen Verdächtigen in Frage.
Der nächste Abschnitt meiner kleinen Tabelle war nicht so wohlgeordnet. Lady Baskervilles Motive dafür, daß sie Arthur auf den Kopf geschlagen hatte, lagen im dunkeln, außer es gab eine Klausel im Testament seiner Lordschaft, die gewisse Besitzungen im Falle, daß der Erbe des Titels starb, an seine Frau übergehen ließ. Das kam mir nicht nur unwahrscheinlich, sondern ganz und gar ungesetzlich vor.
Beharrlich wandte ich mich dann der Frage der Gelegenheit zu.
Lord Baskerville. Seine Frau hatte eine ausgezeichnete Gelegenheit, an ihn heranzukommen. Aber wie zum Teufel hatte sie es getan.
Armadale. Keine Gelegenheit. Woher wußte Lady Baskerville, wo sich die Höhle befand? Wenn sie Armadale im Haus oder in dessen Nähe ermordet hatte, hätte sie die Leiche in die Höhle schaffen müssen – für eine Frau offensichtlich unmöglich.
Schwach, sehr schwach! Fast konnte ich Emerson frohlocken hören. Die Wahrheit war, daß ich mir wünschte, Lady Baskerville sei die Mörderin. Ich hatte die Frau noch nie ausstehen können.
Bedrückt betrachtete ich meine Tabelle, die nicht so aufging, wie ich gehofft hatte. Seufzend blätterte ich eine Seite um und versuchte es mit einem anderen Ansatz.
Der Tod von Lord Baskerville
Verdächtiger: Arthur Baskerville, alias Charles Milverton.
Das sah gut und professionell aus. Ermutigt fuhr ich fort:
Motiv: Erbschaft und Rache. (So weit, so gut.)
Tatsächlich hatte Arthur ein außergewöhnlich starkes Motiv. Es erklärte auch, warum er sich so närrisch verhalten und sich seinem Onkel unter einem falschen Namen vorgestellt hatte. Das war die Tat eines romantischen jungen Esels. Arthur war ein romantischer junger Esel; aber falls er schon im vorhinein geplant hatte, seinen Onkel umzubringen, hatte er einen guten Grund, einen falschen Namen anzunehmen. Nachdem Baskerville tot war (wie? verdammt, wie?), konnte Arthur nach Kenia zurückkehren, und es war höchst unwahrscheinlich, daß jemand eine Verbindung zwischen Arthur, Lord Baskerville und dem früheren Mr. Milverton herstellte. Wahrscheinlich würde er Titel und Besitzungen beanspruchen, ohne überhaupt nach England zu reisen, und falls das doch noch nötig werden sollte, konnte er sich immer noch eine Ausrede einfallen lassen, um Lady Baskerville nicht über den Weg zu laufen.
Zu
Weitere Kostenlose Bücher