Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
doch nicht etwa schon durchbrochen?« wollte er wissen. »Mrs. Amelia, ich werde es Ihnen nie verzeihen, wenn Sie nicht auf mich gewartet haben.«
»Ich glaube, Sie sind gerade rechtzeitig gekommen«, gab ich zurück und versteckte hastig meinen Block unter einem Scherbenhaufen. »Ich wollte gerade hinuntergehen und nachsehen, wie die Sache vorankommt.«
Wir begegneten Mary, die auf dem Weg nach draußen war. Sie war völlig verschwitzt und von Kopf bis Fuß schmutzig, aber ihre Augen funkelten triumphierend, und sie zeigte uns eine großartige Zeichnung, das Ergebnis ihrer Mühen unter solch unbequemen Bedingungen. Das Kunstwerk kam, wie ich dachte, Evelyns Gemälden nicht gleich. Aber vielleicht bin ich auch voreingenommen. Ganz sicher handelte es sich um eine fachmännisch ausgeführte Arbeit, und ich wußte, daß Emerson damit zufrieden sein würde.
Mr. O’Connell redete mit übertrieben irischem Tonfall auf Mary ein und schleppte sie fort, damit sie sich ausruhte. Vandergelt und ich stiegen die Stufen hinab.
Die gerade erst fertiggestellte Holzkonstruktion befand sich schon an ihrem Platz über dem Schacht, und die Männer schickten sich eben an, ein Loch in die Wand zu schlagen.
»Ach, da seid ihr ja«, bemerkte Emerson überflüssigerweise. »Ich wollte euch gerade holen gehen.«
»Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen«, meinte Vandergelt. »Aber nichts für ungut, Professor, an Ihrer Stelle hätte ich auch nicht warten wollen. Wie geht es jetzt weiter?«
Ich möchte meinen Lesern technische Einzelheiten ersparen. Man kann sie in Emersons ausgezeichnetem Bericht nachlesen, der in diesem Herbst in der Zeitschrift für Ägyptische Sprache erscheinen wird. Es genügt also zu sagen, daß das Loch gebohrt wurde und Emerson hindurchblickte. Vandergelt und ich, die mit angehaltenem Atem warteten, hörten ihn aufstöhnen.
»Was ist?« rief ich. »Eine Sackgasse? Ein leerer Sarkophag? Schone uns nicht, Emerson.«
Schweigend gab Emerson uns den Weg frei. Vandergelt und ich legten beide jeweils ein Auge an die Öffnung.
Ein weiterer Korridor führte hinab in die Dunkelheit. Er war halb mit Schutt angefüllt – nicht mit den absichtlich aufgeschütteten Kalksteinchen wie der erste Gang, sondern mit Bruchstücken einer eingestürzten Decke und Wand, vermischt mit Splittern vergoldeten Holzes und Fetzen brauner Leinwand – den Überresten der Wickeltücher einer Mumie.
Ich zog die Kerze vom Loch zurück und hielt sie hoch. In ihrem Licht sahen wir uns enttäuscht an.
»Das ist bestimmt nicht die Grabkammer!« rief Vandergelt.
Emerson schüttelte den zerzausten Schopf, der nun mit grauem Staub bedeckt war. »Nein. Anscheinend wurde das Grab für spätere Beisetzungen benutzt, und die Decke ist eingestürzt. Es wird eine langwierige und mühselige Arbeit werden, die Trümmer herauszuschaffen und den Schutt zu sieben.«
»Nun, dann fangen wir doch gleich an«, meinte Vandergelt und wischte sich die schweißnasse Stirn.
Emersons Lippen formten sich zögernd zu einem Lächeln, als er den Amerikaner musterte. Eine Viertelstunde in dem überhitzten Korridor hatten Vandergelt von einem eleganten Gentleman und gutaussehenden Mann von Welt in ein Geschöpf verwandelt, dem man wohl auch im billigsten Londoner Hotel den Zutritt verweigert hätte. Es tropfte aus seinem Spitzbart, sein Gesicht war weiß von Staub, und sein Anzug hing an ihm herunter. Aber er strahlte vor Begeisterung über beide Wangen.
»Ganz richtig«, sagte Emerson. »Fangen wir gleich an.«
Vandergelt zog das Sakko aus und krempelte die Ärmel hoch.
Die Sonne hatte den Zenit überschritten und ihre Reise gen Westen angetreten, als Emerson eine Arbeitspause einlegen ließ. Ich war oben geblieben und hatte mit Mary ein unterhaltsames Gespräch von Frau zu Frau geführt. Sie erwies sich als bemerkenswert widerstandsfähig gegen meine Versuche, herauszufinden, welchen ihrer Verehrer sie bevorzugte. Beharrlich bestand sie darauf, daß ihre Präferenzen unwichtig seien, da sie nicht beabsichtige zu heiraten. Ich glaube, daß ich kurz davor war, ihr Vertrauen zu gewinnen, als wir durch die Ankunft zweier staubiger, zerzauster Vogelscheuchen unterbrochen wurden.
Vandergelt ließ sich unter dem Zeltdach auf den Boden fallen. »Ich hoffe, die Damen werden mich entschuldigen. Im Augenblick ist mein Äußeres nicht eben angemessen, um dem schönen Geschlecht Gesellschaft zu leisten.«
»Sie sehen aus wie ein richtiger Archäologe«, lobte ich ihn.
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