Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
ihre Arbeit.«
»Wußten Sie es nicht? Die schreckliche Frau ist davongelaufen«, lautete die gleichgültige Antwort. »Was halten Sie von diesem Mieder? Es ist nicht sehr hübsch, aber …«
Der Rest ihrer Worte rauschte an meinem Ohr vorbei. Ich wurde von einer bösen Vorahnung ergriffen. War Atiyah auch zum Opfer geworden?
»Man sollte etwas unternehmen, um die Frau ausfindig zu machen«, sagte ich, womit ich Lady Baskervilles kritische Ausführungen bezüglich eines bestickten Frisierumhangs unterbrach. »Vielleicht ist sie in Gefahr.«
»Welche Frau? Ach, Atiyah.« Lady Baskerville lachte. »Mrs. Emerson, das arme Geschöpf war drogensüchtig. Haben Sie das nicht bemerkt? Wahrscheinlich hat sie ihren Lohn in Opium umgesetzt und liegt jetzt völlig berauscht in einer Opiumhöhle in Luxor. In den nächsten Tagen komme ich auch ohne Mädchen zurecht. Gott sei Dank werde ich bald in die Zivilisation zurückkehren, wo es auch anständige Dienstboten gibt.«
»Wollen wir hoffen«, erwiderte ich höflich.
»Aber ich vertraue darauf, daß Radcliffe mich erlöst. Hat er nicht versprochen, daß all unsere Zweifel und Fragen heute ein Ende haben würden? Cyrus und ich würden Sie alle nur ungern zurücklassen, solange wir nicht sicher wären, daß Sie nicht mehr in Gefahr schweben.«
»Offenbar wird dieser lang ersehnte Augenblick nicht vor morgen früh eintreten«, meinte ich trocken. »Emerson hat mir gesagt, sein Bote sei aufgehalten worden.«
»Heute, morgen, was macht das für einen Unterschied? Solange es nur bald ist.« Lady Baskerville zuckte die Achseln. »Und das, Mrs. Emerson, wird mein Hochzeitshut. Wie gefällt er Ihnen?«
Sie setzte sich den Hut – einen breitkrempigen Kopfputz, der mit fliederblauen Bändern und rosafarbenen Seidenblumen verziert war – auf den Kopf und befestigte ihn mit zwei juwelenverzierten Hutnadeln. Als ich nicht sofort antwortete, blitzte ein wütender Funke in ihren schwarzen Augen auf.
»Verurteilen Sie mich, weil ich mich so leichtfertig kleide, obwohl ich doch Trauer tragen sollte? Erwarten Sie etwa, daß ich die Bänder durch schwarze ersetze und die Blumen braun färbe?«
Ich verstand die Frage so, wie sie gemeint war, nämlich sarkastisch, und sagte nichts darauf. Ich hatte andere Dinge im Kopf. Ganz offensichtlich war Lady Baskerville über mein mangelndes Interesse erzürnt, und als ich mich erhob, um zu gehen, drängte sie mich nicht zum Bleiben.
Als ich aus Lady Baskervilles Zimmer kam, fuhr die Kutsche gerade durch das Tor. Die jungen Leute hatten keinen Grund, sich zu beeilen. Nachdem Mary mich begrüßt hatte, fragte sie mich, ob ich ihre Mutter gesehen hätte.
»Nein, ich war bei Lady Baskerville. Wenn Sie sich noch ein paar Minuten gedulden, bis ich nach Arthur geschaut habe, begleite ich Sie.«
Mary stimmte diesem Vorschlag gern zu.
Die Nonne begrüßte uns mit leuchtenden Augen und machte wegen der Neuigkeiten, die sie uns mitzuteilen hatte, ein glückliches Gesicht. »Es sieht ganz so aus, als käme er wieder zu Bewußtsein. Es ist ein Wunder, Madame. Das ist die Kraft des Gebets!«
Das ist die Kraft der Hühnersuppe, dachte ich bei mir. Aber ich sagte es nicht. Sollte die gute Frau doch ihre Illusionen haben.
Arthur war entsetzlich mager – selbst die Kraft von Hühnersuppe hat ihre Grenzen –, doch er hatte in den letzten vierundzwanzig Stunden erstaunliche Fortschritte gemacht. Als ich mich über das Bett beugte, regte er sich und murmelte etwas. Ich bedeutete Mary, näher zu kommen.
»Sprechen Sie mit ihm, meine Liebe. Sehen wir, ob es uns gelingt, ihn aufzuwecken. Wenn Sie wollen, können Sie seine Hand halten.«
Kaum hatte Mary die abgezehrte Hand in die ihre genommen und den Namen des jungen Mannes gerufen, als seine langen, goldenen Wimpern flatterten und er den Kopf in ihre Richtung wandte.
»Mary«, murmelte er. »Sind Sie es oder ein Engel?«
»Ich bin es«, antwortete das Mädchen, und die Freudentränen liefen ihr über die Wangen. »Wie glücklich bin ich, daß es Ihnen besser geht!«
Ich fügte einige angemessene Worte hinzu. Arthurs Blick wanderte zu mir hinüber. »Mrs. Emerson?«
»Ja. Jetzt wissen Sie wenigstens, daß Sie nicht gestorben und in den Himmel gekommen sind.« (Ich war schon immer der Ansicht, daß ein wenig Humor derartige Situationen entkrampft.) »Ich weiß, Sie sind noch schwach, Arthur«, fuhr ich fort. »Aber um Ihrer eigenen Sicherheit willen hoffe ich, daß Sie mir eine Frage beantworten können. Wer
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