Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
hat Sie niedergeschlagen?«
»Niedergeschlagen?« Der Kranke runzelte die Stirn. »Hat jemand … ich kann mich nicht erinnern.«
»Was ist das letzte, woran Sie sich erinnern?«
»Lady … Lady Baskerville.« Mary schnappte nach Luft und sah mich an. Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war auf keinen Fall der richtige Zeitpunkt, um auf der Grundlage der verwirrten Erinnerung eines Verwundeten übereilte Schlußfolgerungen zu ziehen.
»Was ist mit Lady Baskerville?« fragte ich.
»Hat gesagt … ausruhen.« Arthurs Stimme wurde noch schwächer. »Bin in mein Zimmer gegangen … hingelegt …«
»Und sonst erinnern Sie sich an nichts?«
»Nichts.«
»Nun, mein lieber Arthur, überanstrengen Sie sich nicht weiter. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich kümmere mich um alles.«
Ein Lächeln spielte um die Lippen des jungen Mannes. Seine müden Lider schlossen sich.
Als wir zu Madames Zimmer gingen, meinte Mary seufzend: »Nun kann ich leichteren Herzens fortgehen. Die Sorge um seine Sicherheit ist nun von uns genommen.«
»Richtig«, sagte ich. »Wenn er im Schlaf niedergeschlagen wurde, wie es der Fall zu sein scheint, hat er das Gesicht des Schurken nicht gesehen. Also gibt es keinen Grund, warum er nochmals angegriffen werden sollte. Trotzdem bereue ich die Sicherheitsmaßnahmen nicht. Wir durften kein Risiko eingehen.«
Mary nickte, obwohl ich nicht glaubte, daß sie mir wirklich zugehört hatte. Je näher wir dem Zimmer kamen, das ihr wie die stinkende Höhle eines Trolls vorkommen mußte, desto langsamer ging sie. Ein Zittern lief durch ihren Körper, als sie die Hand nach dem Türknauf ausstreckte.
Der Raum lag in Dunkelheit, da die Rolläden heruntergelassen waren, um die Nachmittagssonne abzuhalten. Das Dienstmädchen lag zusammengekauert auf einer Matte am Fuß des Bettes. Sie sah aus wie eine Tote, aber sie schlief nur; ich konnte sie atmen hören.
Mary berührte ihre Mutter sanft am Arm. »Mutter, wach auf. Ich bin zurück, Mutter.«
Auf einmal fuhr sie zurück und schlug die Hände vor die Brust. Ich sprang hin, um sie zu stützen. »Was ist?« schrie ich. Aber sie schüttelte nur benommen den Kopf.
Nachdem ich sie in einen Sessel verfrachtet hatte, ging ich zum Bett hinüber. Man muß seine Phantasie nicht besonders anstrengen, um sich auszumalen, was ich vorfand.
Als wir eintraten, hatte Madame Berengeria mit dem Rücken zur Tür auf der Seite gelegen. Marys Berührung, so sanft sie auch gewesen sein mochte, hatte ihren Körper aus dem Gleichgewicht gebracht und ihn auf den Rücken rollen lassen. Nach einem Blick auf die starren Augen und den schlaffen Mund war mir alles sonnenklar. Es wäre gar nicht nötig gewesen, daß ich nach dem nicht vorhandenen Puls suchte, obwohl ich das rein gewohnheitsmäßig tat.
»Mein liebes Kind, das hätte jederzeit geschehen können«, sagte ich, nahm Mary bei den Schultern und schüttelte sie liebevoll. »Ihre Mutter war eine kranke Frau, und Sie sollten ihren Tod als willkommene Erlösung sehen.«
»Meinen Sie«, flüsterte Mary. »Meinen Sie, es war … ihr Herz?«
»Ja«, antwortete ich wahrheitsgetreu. »Ihr Herz ist stehengeblieben. Nun, mein Kind, gehen Sie und legen Sie sich hin. Ich werde alles Notwendige veranlassen.«
Die falsche Schlußfolgerung, die ich Mary hatte ziehen lassen, hatte sie sichtlich erleichtert. Später war noch Zeit genug, daß sie die Wahrheit erfuhr. Inzwischen war die Araberin aufgewacht. Als ich mich ihr zuwandte, krümmte sie sich zusammen, als rechnete sie mit einem Schlag. Aber ich sah keinen Grund, ihr einen Vorwurf zu machen. Also sprach ich freundlich mit ihr und wies sie an, sich um Mary zu kümmern.
Nachdem die beiden gegangen waren, kehrte ich zum Bett zurück. Madames starre Augen und ihr hängender Kiefer waren kein angenehmer Anblick, doch ich hatte schon Schlimmeres gesehen und Schlimmeres tun müssen. Meine Hände waren ziemlich ruhig, als ich mich an meine gräßliche, aber notwendige Aufgabe machte. Ihr Körper war noch warm. Das bewies wenig, da es im Zimmer heiß war, aber ihre Augen verrieten mir die Wahrheit. Die Pupillen waren so stark erweitert, daß die Iris schwarz wirkte. Ganz gewiß war Berengerias Herz stehengeblieben, aber der Grund war eine Überdosis irgendeines Rauschgiftes gewesen.
Kapitel 16
Ich ließ Emerson sofort eine Nachricht zukommen, obwohl ich nicht davon ausging, daß er sich durch eine solche Kleinigkeit wie einen weiteren Mord von seiner Arbeit würde ablenken
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