Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
der Bestattung betreten wurde. Die unterschiedliche Beschaffenheit des Schutts läßt darauf schließen, daß ein Tunnel hindurchgegraben worden ist.«
»Der danach wieder aufgefüllt wurde«, ergänzte Vandergelt. Er drohte Emerson schelmisch mit dem Finger. »Aber, Professor, Sie versuchen, uns alle in Aufregung zu versetzen. Doch mir machen Sie nichts vor. Man hätte den Tunnel, den die Diebe gegraben haben, nicht wieder aufgefüllt und die Grabsiegel nicht wieder angebracht, wenn das Grab leer gewesen wäre.«
»Dann meinen Sie also, daß dort noch Schätze zu heben sind?« fragte Lady Baskerville.
»Selbst wenn wir nicht mehr finden würden als gemalte Reliefs der Qualität, wie wir sie bisher entdeckt haben, wäre das Grab ein Schatz«, erwiderte Emerson. »Doch in der Tat, Vandergelt hat wieder recht.« Er warf dem Amerikaner einen finsteren Blick zu. »Ich glaube, es besteht die Möglichkeit, daß die Diebe nicht bis zur Grabkammer vorgestoßen sind.«
Lady Baskerville gab einen Aufschrei des Entzückens von sich. Ich wandte mich Milverton zu, der neben mir saß und seine Belustigung kaum verbergen konnte.
»Warum lächeln Sie, Mr. Milverton?«
»Ich gestehe, Mrs. Emerson, daß mich dieser ganze Wirbel um ein paar Tonscherben irgendwie erstaunt.«
»Das klingt aus dem Munde eines Archäologen aber ein wenig seltsam.«
»Ich bin kein Archäologe, sondern Photograph, und das ist mein erster Ausflug in die Welt der Ägyptologie.« Er wandte den Blick ab und vermied es auch weiterhin, mich anzusehen, als er rasch weitersprach. »Ehrlich gesagt, habe ich bereits vor dem tragischen Tod von Lord Baskerville Zweifel gehegt, ob ich hier überhaupt von Nutzen bin. Nun, da er tot ist, glaube ich nicht … das heißt, ich meine, es wäre besser für mich …«
»Wie?« Lady Baskerville hatte alles mitgehört, obwohl Milvertons Stimme kaum lauter gewesen war als ein Flüstern. »Was reden Sie da, Mr. Milverton? Sie werden doch nicht mit dem Gedanken spielen, uns zu verlassen?«
Der unglückliche junge Mann errötete in allen Schattierungen des Sonnenuntergangs. »Ich sagte nur eben zu Mrs. Emerson, daß ich nicht glaube, hier von Nutzen sein zu können. Mein Gesundheitszustand …«
»Unsinn!« rief Lady Baskerville aus. »Dr. Dubois hat mir versichert, daß Sie sich prächtig erholen und daß es besser für Sie ist, hier zu wohnen als allein in einem Hotel. Sie dürfen nicht davonlaufen.«
»Wir brauchen Sie«, pflichtete Emerson bei. »Wir sind viel zu wenige, Milverton, das wissen Sie doch.«
»Aber ich habe keine Erfahrung …«
»Vielleicht nicht in der Archäologie. Doch was wir brauchen, sind Wächter und Aufseher. Außerdem, das garantiere ich Ihnen, werden Ihre besonderen Kenntnisse benötigt, sobald Sie mit uns ins Tal können.«
Unter dem durchdringenden Blick meines Gatten wand sich der junge Mann wie ein Pennäler, der von einem gestrengen Schulmeister examiniert wird. Dieser Vergleich drängte sich geradezu auf; Milverton war das Abbild eines jungen englischen Gentleman der besten Art, und aus seinem frischen, unschuldigen Gesicht war kaum etwas als Verlegenheit abzulesen. Ich schmeichle mir jedoch, hinter die Fassade blicken zu können. Milvertons Verhalten war in höchstem Maße verdächtig.
Karl rettete ihn davor, eine Antwort geben zu müssen, denn er hatte eifrig die tönernen Bruchstücke in der Hoffnung untersucht, Schriftzeichen darauf zu entdecken. Nun blickte der junge Deutsche auf und sagte: »Entschuldigen Sie, Herr Professor, haben Sie meinen Vorschlag wegen eines Zeichners überdacht? Nachdem nun die Gemälde entdeckt worden sind …«
»Durchaus, durchaus«, sagte Emerson. »Ein Zeichner wäre sicherlich von Nutzen.«
»Vor allem«, ergänzte Vandergelt, »da es so heftigen Widerstand gegen Ihre Arbeit gibt. Ich würde es den hiesigen Radaubrüdern zutrauen, daß sie die Gemälde aus reiner Bosheit zerstören.«
»Dazu müßten sie erst einmal an sie herankommen«, meinte Emerson entschlossen.
»Ich bin sicher, daß Ihre Wächter vertrauenswürdig sind. Trotzdem …«
»Sie brauchen sich über diesen Punkt nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich werde dem Mädchen eine Chance geben.«
Nachdem sich die Aufmerksamkeit der anderen von ihm abgewandt hatte, hatte Milverton sich wieder beruhigt. Nun setzte er sich mit einem Ruck auf.
»Sprechen Sie etwa von Miss Mary? Das können Sie nicht ernst meinen. Karl, wie können Sie vorschlagen …«
»Aber sie ist doch eine gute
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