Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Inschriften erkennen, die Karl eifrig kopierte, doch zu unserer Enttäuschung war der Name des Grabbesitzers nicht aufgetaucht.
Nachdem wir das Eisentor und die Tür des kleinen Schuppens, in dem wir unsere Geräte aufbewahrten, abgeschlossen hatten, machten wir uns auf den Weg zurück nach Baskerville House. Es wurde schon dunkel, als wir Richtung Osten gingen; doch hinter uns, im Westen, durchzogen die letzten trüben Strahlen des Sonnenuntergangs den Himmel wie blutige Striemen.
Emerson spottet gern über unnötigen Luxus; doch ich stellte fest, daß er keine Skrupel hatte, sich der Annehmlichkeiten des gemütlichen kleinen Badezimmers neben unserem Schlafgemach zu bedienen. Während ich mich wusch, hörte ich, wie die Diener die großen irdenen Krüge nachfüllten; das kühle Wasser war, wie ich sagen muß, nach einem Tag in Sonne und Staub sehr wohltuend. Emerson war nach mir an der Reihe; und ich mußte lächeln, als er ein Lied anstimmte. Es handelte, glaube ich, von einem jungen Mann am Trapez.
Der Tee wurde gerade – später als sonst – vorbereitet, als wir den eleganten Salon betraten. Die Fenster zur weinbewachsenen Loggia standen offen, und der Duft von Jasmin durchdrang den Raum.
Wir waren die ersten, doch kaum hatte ich Platz genommen, erschienen Karl und Mr. Milverton, und kurz darauf gesellte sich Mr. Vandergelt zu uns; er spazierte so selbstverständlich wie ein alter Freund zur Terrassentür herein.
»Ich bin eingeladen«, versicherte er mir und beugte sich zu einem Handkuß herab. »Doch ich muß gestehen, daß ich auf jeden Fall gekommen wäre, denn ich brenne darauf, zu erfahren, was Sie heute gefunden haben. Wo ist Lady Baskerville?«
Kaum hatte er diese Frage gestellt, als die Lady hereinschwebte. Sie war in Rüschen und Spitzen gehüllt und trug einen Zweig süß duftenden weißen Jasmins in der Hand. Nach einer (wie ich wohl kaum hinzufügen muß) höflichen Erörterung der Frage, wer von uns den Tee einschenken sollte, füllte ich die Tassen. Dann ließ Emerson sich dazu herab, einen kurzen aber prägnanten Vortrag über die Entdeckungen des heutigen Tages zu halten.
Er begann, großzügig wie er ist, mit dem Hinweis auf meinen eigenen, nicht unbeträchtlichen Beitrag. Die letzten Stunden des Nachmittags hatte ich damit verbracht, den Schutt, den wir aus dem Gang geräumt hatten, durchzusieben. Nur wenige Archäologen belasten sich mit dieser Aufgabe, wenn sie auf der Suche nach größeren Zielen sind, doch Emerson hat stets darauf bestanden, jeden Quadratzentimeter des Schutts zu untersuchen, und in diesem Fall waren unsere Anstrengungen auch belohnt worden. Mit einigem Stolz präsentierte ich meine Funde, die auf einem Tablett ausgebreitet lagen: einen Haufen Tonscherben (gewöhnliche, polierte Ware), eine Handvoll Knochen (von Nagetieren) und ein Kupfermesser.
Lady Baskerville stieß ein Lachen aus.
»Meine arme, liebe Mrs. Emerson: die ganze Mühe für eine Handvoll Kehricht!«
Mr. Vandergelt strich sich über den Spitzbart. »Da bin ich mir nicht so sicher, Ma’am. Das sieht zwar nach nicht viel aus, doch ich will verdammt sein, wenn dahinter nicht etwas steckt – etwas nicht sehr Erfreuliches. Nicht wahr, Professor?«
Emerson nickte brummend. Er schätzt es nicht, wenn jemand seinen brillanten Schlußfolgerungen zuvorkommt. »Sie sind sehr scharfsinnig, Vandergelt. Diese Tonscherben stammen von einem Krug, der parfümiertes Öl enthielt. Ich fürchte sehr, Lady Baskerville, daß wir nicht die ersten sind, die die Ruhe des Pharaos stören.«
»Ich verstehe nicht.« Lady Baskerville wandte sich mit einer kurzen, hübschen Geste der Verwirrung zu Emerson um.
»Aber das liegt doch auf der Hand«, rief Karl. »Solche Behälter mit parfümiertem Öl wurden zusammen mit dem Toten begraben, damit er sie in der nächsten Welt verwenden konnte, ebenso wie Nahrungsmittel, Kleidung, Möbel und was man sonst noch brauchte. Wir wissen das aus den Grabreliefs und aus Papyrusschriften, die …«
»Wie dem auch sei«, unterbrach ihn Emerson, »was Karl sagen will, Lady Baskerville, ist, daß solche Scherben im äußeren Gang nur gefunden werden können, wenn ein Dieb einen der Krüge beim Hinaustragen fallen gelassen hat.«
»Vielleicht fiel er beim Hineintragen zu Boden«, meinte Milverton unbekümmert. »Meine Diener zerbrechen ständig etwas.«
»In diesem Fall wären die Scherben des Krugs aufgefegt worden«, sagte Emerson. »Nein; ich bin mir fast sicher, daß das Grab nach
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