Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Seile zu spannen. Die Unverschämteren unter den Touristen ignorierten diese Absperrung einfach, so daß ich ständig irgendwelche gaffenden Idioten zur Seite schieben mußte. Halb blind von Sonne, Staub und Schweiß achtete ich auf diese Gestalten nur soweit, als notwendig war, um sie aus dem Weg zu stoßen. Als ich also genau in der Mitte des Pfades auf ein sehr aufwendig geschneidertes hellgraues Ausgehkleid mit schwarzem Spitzenbesatz stieß, versetzte ich diesem im Vorbeieilen einen leichten Schubs mit dem Ellbogen. Ein Kreischen, auf das der Aufschrei einer Männerstimme folgte, ließ mich innehalten. Nachdem ich mir mit dem Ärmel über die Stirn gewischt hatte, um klarer sehen zu können, erkannte ich Lady Baskerville. Zweifellos war ihr Korsett schuld daran, daß sie die Taille nicht bewegen konnte; ihr ganzer Körper war – steif wie ein Baumstamm – nach hinten gekippt, wobei sie mit den Absätzen den Boden berührte und an den Schultern von Mr. Vandergelt gehalten wurde. Unter ihrem blumengeschmückten Hut, der ihr ins Gesicht gerutscht war, funkelte sie mich an.
»Guten Morgen, Mrs. Emerson«, sagte Mr. Vandergelt. »Ich hoffe doch, Sie verzeihen mir, wenn ich nicht den Hut ziehe.«
»Aber sicher. Guten Morgen, Lady Baskerville; ich habe Sie nicht gesehen. Entschuldigen Sie mich, ich muß diesen Korb leeren.«
Als ich zurückkam, stand Lady Baskerville wieder aufrecht und rückte ihren Hut zurecht. Der Anblick meiner zerzausten, staubigen und schweißgebadeten Erscheinung gab ihr das innere Gleichgewicht zurück. Sie schenkte mir ein mitleidiges Lächeln.
»Meine liebe Mrs. Emerson, ich hätte nie erwartet, Sie mit niedrigen Arbeiten beschäftigt zu sehen.«
»Das läßt sich nicht vermeiden«, antwortete ich kurz angebunden. »Wir könnten ein paar Arbeiter mehr gebrauchen.« Ich musterte sie von Kopf bis Fuß und sah, wie ihre Miene vor Entrüstung starr wurde, bevor ich hinzufügte: »Ich hoffe, Mr. Milverton geht es besser?«
»Wie ich hörte, haben Sie ihn heute bereits gesehen«, erwiderte Lady Baskerville, die hinter mir herlief, denn natürlich unterbrach ich meine Arbeit nicht länger als absolut notwendig.
»Ja, ich sagte ihm, er soll heute im Haus bleiben.«
Ich wollte gerade weitersprechen, als ein Schrei aus dem Grab drang. Sofort ließ ich meinen Korb fallen und rannte los. Auch die Schaulustigen begriffen, was es mit diesem Schrei auf sich hatte; sie drängten sich so dicht um den Eingang, daß ich mich erst durch sie hindurchkämpfen mußte, um an die Treppe zu gelangen, und nur Emersons wütende Gebärden verhinderten, daß einige von ihnen mir folgten.
Die Männer arbeiteten nahe genug am Eingang, so daß keine künstliche Beleuchtung vonnöten war, doch durch den plötzlichen Wechsel aus dem strahlenden Sonnenlicht in die Düsternis konnte ich zunächst kaum etwas erkennen. Dann aber sah ich, was die Aufregung verursacht hatte. An einer der Wände, die nunmehr ein Stück weit freigelegt waren, war ein Teil eines Gemäldes zu sehen. In Überlebensgröße zeigte es den Oberkörper einer männlichen Figur, die eine Hand zum Segen erhob. Die Farben waren noch genauso kräftig wie an jenem weit zurückliegenden Tag, als der Künstler sie aufgetragen hatte: das Rotbraun der Haut, das Korallenrot, Grün und Azurblau des perlenverzierten Kragens und das Gold der hohen Federn, die das schwarze Haar krönten.
»Amon«, rief ich, als ich die Insignien dieses Gottes erkannte. »Emerson, wie großartig!«
»Die Ausführung ist genauso kunstvoll wie im Grab von Sethos des Ersten«, sagte Emerson. »Wir müssen vorsichtig weitermachen, um das Gemälde nicht zu beschädigen.«
Vandergelt war die Treppe zu uns hinabgestiegen. »Sie räumen diesen ganzen Schutt weg? Warum graben Sie denn nicht einen Tunnel hindurch, um die Grabkammer schneller zu erreichen?«
»Weil ich nicht daran interessiert bin, den Journalisten eine Sensation zu liefern oder es den Gurnawis zu erleichtern, das Grab auszurauben.«
»Da muß ich Ihnen recht geben«, sagte Vandergelt lächelnd. »So gern ich bleiben möchte, Professor – ich denke, es ist besser, wenn ich Lady Baskerville nach Hause bringe.«
Wir arbeiteten bis zum frühen Abend weiter. Als wir aufhörten, war der Gang mehrere Meter weit freigeräumt und zwei phantastische Gemälde waren zutage gefördert worden, eines an jeder Wand. Sie waren Teil einer ganzen Prozession von Göttern. Neben Amon waren auch Osiris, Mut und Isis erschienen. Man konnte
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