Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
hereinzulassen?«
An dem verwirrten Blick der Frau erkannte ich, daß sie nur sehr wenig Englisch verstand. Allerdings war der Zorn ihrer Herrin nur zu gut aus ihrem Tonfall herauszuhören; Atiyah begann, in arabisch zu stammeln, und erklärte, die Katze sei durch das Fenster hereingekommen. Es sei ihr nicht gelungen, sie zu verscheuchen. Lady Baskerville schimpfte weiter in englisch auf sie ein, und Atiyah fuhr fort, in arabisch zu jammern, bis Emerson diesem Schauspiel ein Ende bereitete, indem er die Katze auf den Arm hob und zur Tür marschierte.
»Ziehen Sie die Vorhänge zu und gehen Sie ins Bett, Lady Baskerville. Komm jetzt, Amelia. Gehen Sie auf Ihr Zimmer, Mr. Milverton. So etwas Lächerliches«, fügte er noch hinzu und schritt hinaus. Die Katze warf uns über seine Schulter hinweg einen Blick zu.
In unserem Zimmer setzte Emerson das Tier auf den Boden. Sofort sprang es aufs Bett und fing an, sich zu putzen. Ich näherte mich ihr ein wenig zögerlich – nicht aus Angst, sondern weil mir Katzen nicht besonders vertraut waren. Als ich meine Hand ausstreckte, rollte sie sich herum und fing an zu schnurren.
»Interessant«, sagte Emerson. »Diese Haltung zeigt, daß sie sich dir unterwirft, Amelia; indem sie dir ihren weichen und empfindlichen Bauch darbietet, sagt sie, daß sie dir vertraut. Sie ist außergewöhnlich zahm. Ich bin überrascht, daß sie es geschafft hat, sich so lange allein durchzuschlagen.«
Diesen Gesichtspunkt der Angelegenheit hatte ich noch nicht bedacht. Während ich der Katze den Bauch kraulte (ein erstaunlich angenehmes Gefühl, wie ich zugeben muß), dachte ich darüber nach.
»Emerson«, rief ich. »Sie muß bei Armadale gewesen sein! Glaubst du, sie könnte uns zu ihm führen?«
»Du hast keine Ahnung vom Wesen einer Katze«, erwiderte Emerson und knöpfte sich das Hemd auf.
Wie zur Bestätigung seiner Worte klammerte sich die Katze mit allen vier Beinen an meinen Arm und grub ihre Zähne in meine Hand. Ich starrte sie verblüfft an.
»Laß mich sofort los«, sagte ich streng. »Das mag für dich vielleicht eine Zärtlichkeit sein, aber ich schätze es nicht.«
Die Katze gehorchte umgehend und leckte mir wie zur Entschuldigung die Finger. Dann streckte sie sich. Sie reckte ihren Körper auf überaus erstaunliche Weise, als habe sie Muskeln aus Gummi. Mit einigen behenden Sprüngen hüpfte sie durchs Fenster und verschwand in der Nacht.
Ich untersuchte meine Hand. Die Zähne der Katze hatten auf meiner Haut Spuren, aber keine blutenden Wunden hinterlassen.
»Eine merkwürdige Art, Zuneigung zu zeigen«, stellte ich fest. »Doch sie scheint ein äußerst intelligentes Geschöpf zu sein. Sollen wir nicht losgehen und sie suchen?«
»Katzen sind Nachttiere«, erwiderte Emerson. »Verfall jetzt nicht wieder in einen Begeisterungstaumel, Amelia, so wie du es immer machst, wenn etwas Neues deine lebhafte Phantasie beflügelt. Laß die Katze das tun, was Katzen nachts eben so treiben – eine Beschäftigung, der wir, wie ich hinzufügen möchte, vielleicht nacheifern sollten.«
Das unterließen wir allerdings. Erschöpft von den Strapazen des Tages, wurden wir rasch von einem Schlaf übermannt, der so tief war, daß kein Geräusch von draußen unsere Ruhe stören konnte. Doch in einer der dunklen Stunden vor der Morgendämmerung, nicht weit von unserem offenen Fenster entfernt, begegnete Hassan, der Wächter, dem schakalköpfigen Gott der Totenstädte und begab sich auf seine letzte Reise gen Westen.
Leider hatten wir keine Möglichkeit, diesen neuesten Beweis für den »Fluch des Pharaos« zu vertuschen. Hassans Leiche wurde von einem der anderen Diener entdeckt, dessen Wehgeschrei uns aus dem Schlaf riß. Emerson, der ohne große Förmlichkeiten den Weg durch unser Schlafzimmerfenster nahm, war als erster am Ort des Geschehens. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß ich ihm auf den Fersen folgte. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um den Entdecker der Leiche mit fliegenden Hemdschößen im Gehölz verschwinden zu sehen. Weil wir seine Flucht dem Schrecken zuschrieben, den einfache Menschen angesichts eines Toten empfinden, unternahm Emerson nichts, um ihn zurückzurufen. Er kniete nieder und drehte das staubige Baumwollbündel auf den Rücken.
Die leeren starren Augen und das aschgraue Gesicht blickten mich fast anklagend an. Ich hatte Hassan nicht gerade für eine einnehmende Persönlichkeit gehalten; dennoch erfaßten mich Mitleid und Empörung, und ich schwor auf
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