Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Geschöpfe der Nacht, nur bei Dunkelheit tätig. Wenn der Mond hinter den Hügeln verschwand, begann die Gefahr, und bis dahin würden wir das Geheimnis des Pharaos vielleicht schon entschlüsselt haben.
Obgleich mich dieser Gedanke in die allerhöchste archäologische Verzückung versetzte, dürfen Sie nicht glauben, daß ich deswegen meine Pflichten vernachlässigt hätte. Zuerst begab ich mich in das Zimmer, wo Arthur lag. Die schweigende, schwarzgewandete Gestalt der Nonne sah aus, als habe sie sich seit dem Vormittag nicht von der Stelle gerührt. Nur das leise Klappern des Rosenkranzes, der durch ihre Finger glitt, wies darauf hin, daß sie ein Wesen aus Fleisch und Blut und keine Statue war. Als ich sie nach dem Patienten befragte, sprach sie nicht, sondern schüttelte nur den Kopf, um anzuzeigen, daß keine Veränderung stattgefunden hatte.
Madame Berengeria war die nächste auf meiner Liste. Ich beschloß, daß es für alle angenehmer sein würde, wenn sie sicher im Bett verstaut war, ehe ich aufbrach. Ich nahm an, daß sie immer noch im Salon mit den Göttern konversierte, und als ich mich dorthin aufmachte, überlegte ich, wie ich dieses Ziel wohl am besten erreichen könnte. Ein völlig verachtenswerter und meiner unwürdiger Gedanke ging mir durch den Kopf. Kann ich es wagen, ihn zu offenbaren? Aber ich habe geschworen, absolut ehrlich zu sein, und so muß ich – auch auf die Gefahr hin, die Mißbilligung meiner Leser zu ernten – gestehen, daß ich daran dachte, Madames Schwäche für alkoholische Getränke auszunutzen und sie betrunken zu machen, bis sie das Bewußtsein verlor. Wer mich dafür verurteilt, sollte sich einmal in meine Lage versetzen. Jeder, der diese schreckliche Frau in Aktion erlebt hat, würde, das wage ich zu behaupten, diesem zugegebenermaßen tadelnswerten Plan offener gegenüberstehen.
Allerdings blieb mir die Notwendigkeit, tätig zu werden, erspart. Als ich das fragliche Zimmer erreichte, stellte ich fest, daß Madame Berengeria mir zuvorgekommen war. Ihr heiseres Schnarchen war bereits aus einiger Entfernung zu hören. Schon ehe ich sie wie ein wenig ansehnliches Bündel bar jeden Anstands auf dem Teppich liegen sah, wußte ich, was geschehen war. Neben ihrer rechten Hand befand sich eine leere Brandyflasche.
Lady Baskerville stand über sie gebeugt, und man wird mir sicherlich keine Böswilligkeit vorwerfen, wenn ich anmerke, daß die Dame eines ihrer zarten Schühchen in Vorbereitung auf einen Tritt erhoben hatte. Als sie mich sah, senkte sie hastig den Fuß.
»Skandalös!« rief sie mit blitzenden Augen aus. »Mrs. Emerson, ich bestehe darauf, daß Sie diese gräßliche Frau aus meinem Haus schaffen. Es war ein Akt äußerster Grausamkeit, sie hierherzubringen, solange sich meine Nerven in einem solchen Zustand befinden. Zerrüttet von Trauer …«
»Lassen Sie mich feststellen, Lady Baskerville, daß nicht ich diese Entscheidung getroffen habe«, unterbrach ich sie. »Ich stimme völlig mit Ihrem Standpunkt überein, doch wir können sie so auf keinen Fall zurück nach Luxor schicken. Wie ist sie überhaupt an den Brandy gekommen? Ich dachte, Sie schließen den Alkoholschrank ab?«
»Ja, aber wahrscheinlich hat sie sich irgendwie die Schlüssel besorgt. Säufer entwickeln eine erstaunliche Schläue, wenn es darum geht, ihrem Laster zu frönen. Aber, bei Gott, was ändert das schon?« Sie rang die Hände. »Ich sage Ihnen, ich werde noch verrückt!«
Durch ihr theatralisches Gehabe wurde mir klar, daß sie einen neuen Zuhörer haben mußte. Sie wußte ja, daß sie mich auf diese Weise nicht beeindrucken konnte. Also war ich nicht überrascht, als ich Vandergelt hereinkommen sah.
»Du heiliger Strohsack!« rief er mit einem entsetzten Blick auf das schnarchende Gebirge am Boden aus. »Wie lange liegt sie denn schon so da? Mein armes Kind!« Bei diesen Worten ergriff er die Hand, die Lady Baskerville ihm entgegenstreckte, und umschloß sie zärtlich mit der seinen.
»Wir müssen sie in ihr Zimmer bringen und sie einschließen«, sagte ich. »Sie nehmen ihren Kopf, Mr. Vandergelt. Lady Baskerville und ich nehmen …«
Die Dame stieß einen klagenden Schrei aus. »Das muß ein Scherz sein, Mrs. Emerson, das muß ein Scherz sein!«
»Mrs. Emerson scherzt niemals über solche Dinge«, meinte Vandergelt lächelnd. »Wenn Sie und ich uns weigern, wird sie es allein tun, indem sie diese Frau an den Füßen hinter sich herschleppt. Mrs. Emerson, ich schlage vor, wir
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