Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
erfuhren wir, daß sich die Abstützung des Tunnels als unmöglich erwiesen hatte und die Arbeiten eingestellt werden mußten. Mohammed hatte sich gerade noch retten können, als die brüchigen Wände nachgegeben hatten. Emerson besah sich die Sache und lobte Abdullah für seine Umsicht.
»Das habe ich von Anfang an befürchtet«, sagte er. »Jetzt müssen wir eben das gesamte Gebiet von oben her abtragen, um an die Kammern im Untergrund heranzukommen. Vom Oberbau ist ohnehin nur noch der kleine Ziegelmauerrest dort drüben erhalten. Man sieht auch an den Vertiefungen, daß darunter wahrscheinlich die zusammengebrochenen Gänge des Unterbaus liegen.«
»Ich bin überzeugt, daß du recht hast, Emerson.«
»Es tut mir leid, Peabody, denn ich weiß, wie gern du auf Händen und Füßen durch enge Gänge kriechst …«
»Aber es ist doch nicht deine Schuld, Emerson, daß die Pyramide in einem solchen Zustand ist. Ich möchte nicht, daß einer unserer Männer gefährdet wird!«
Ich wahrte mein fröhliches Gesicht, aber innerlich nagte die Enttäuschung an mir, denn ich hatte so sehr gehofft, wenigstens einen intakten Unterbau vorzufinden. In manchen Pyramiden befinden sich Gänge und Grabkammern völlig im oberirdischen Teil, aber diese war eine, bei der die Gänge und Grabkammern im Boden angelegt und dann mit einer Pyramide überbaut worden waren. Doch nun waren alle meine Träume vorbei.
Als Ramses die tragische Neuigkeit erfuhr, sagte er nur lakonisch: »Ich dachte ef mir, alf die Wand hinter Mohammed eingeftürzt ift.« Ich hatte immer gedacht, daß er meine Leidenschaft für die Pyramiden geerbt hätte, aber nach dieser lauen Reaktion kamen mir doch ernste Zweifel. Er begleitete uns auch nicht, als wir nach einem hastigen Mittagessen an die Arbeit gingen.
Am frühen Nachmittag stießen die Männer auf eine meterdicke Mauer, die offenbar die Umfassungsmauer der Pyramide gewesen war. Nach ihrem Verlauf konnte man den Grundriß der Pyramide abschätzen, und ich sah, daß es, obwohl Emerson die Männer an allen vier Seiten gleichzeitig arbeiten ließ, Wochen dauern würde, bis wir zum interessanten Teil vorstoßen konnten.
Ramses ging gleich nach dem Essen in sein Zimmer, während sich Emerson und ich an die alltägliche Kleinarbeit machten, die eine archäologische Expedition so mit sich bringt. Emerson und John errechneten die Löhne der einzelnen Arbeiter für den morgigen Zahltag, was nach den Aufregungen der letzten Zeit eine ziemlich eintönige Beschäftigung war. Ich hatte Mühe, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, und mußte dauernd gähnen. Als ich gerade vorschlagen wollte, heute früher zu Bett zu gehen, hörte ich vor dem Haus Stimmen.
Die eine gehörte Abdullah, der den Ankömmling laut nach seinem Begehr fragte, die andere war leiser und undeutlicher, und ich konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Sekunden später klopfte es an der Tür.
»Ein Mann hat dies gebracht«, sagte Abdullah und übergab mir ein gefaltetes Stück Papier.
»Welcher Mann?«
Abdullah zuckte die Achseln. »Einer von den Ungläubigen.«
»Danke schön, Abdullah.«
Er verbeugte sich und zog sich zurück.
»Nun, was ist es, Peabody?« fragte Emerson, der eine fertig beschriebene Seite zu den anderen legte.
»Es sieht aus wie ein Brief. Er ist an mich gerichtet, aber ich kenne die Schrift nicht. Ich glaube …«
»Glaube nicht, sondern lies lieber«, sagte Emerson.
Ich fühlte mich plötzlich von dunklen Schatten umgeben und fröstelte. Und alles nur wegen eines Stückes Papier! Ich begann zu lesen, während mich Emerson und John gespannt beobachteten.
»Es ist von Charity«, sagte ich. »Deine Warnung war doch nicht umsonst, Emerson. Sie bittet uns um Hilfe.«
»Wann?«
»Gleich. Noch heute nacht.«
John sprang auf. »Was ist geschehen?« rief er aufgeregt und rang die Hände. »Wo ist sie? Ist sie in Gefahr?«
»Aber John, beruhigen Sie sich. Sie ist nicht in unmittelbarer Gefahr. Sie möchte sich mit uns treffen …« Seine Aufregung war echt, und ich mußte ihn beruhigen, damit er nicht in die Mission lief, um Charity zu retten. »Wir werden uns mit ihr treffen und uns sagen lassen, was los ist. Falls auch nur der Hauch einer Gefahr besteht, werden wir sie selbstverständlich mit hierhernehmen. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie können sich auf uns verlassen!«
»Sie erzählen mir sofort, was geschehen ist, Madam?«
»Aber selbstverständlich, John.«
Nachdem er gegangen war, gab ich Emerson den
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