Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx
hätte jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme …«
»Klingt auch, als hätten Sie das getan«, entschied ich und goß ihm eine weitere Tasse Tee ein. »Ich schätze, Ramses ist mitten in die Feuersalve hineingelaufen.«
Donald nickte. »Er brüllte aus vollem Halse und schwenkte seinen Helm. Natürlich reagierten die Vögel auf diese Warnung und flogen davon …«
»Was exakt meine Absicht war«, rief Ramses. »Du kennst meine Einstellung gegenüber Hetzjagden, Mama. Das Töten zur Nahrungsbeschaffung oder zur Selbstverteidigung ist eine Sache, aber das Abschlachten hilfloser Tiere, nur um später die Zahl der Treffer zu ermitteln, ist ein Vorgang, den ich nicht …«
»Deine Einstellung zu diesem Thema ist mir bekannt, Ramses«, sagte Emerson. »Aber, mein lieber Junge …«
»Schelten Sie ihn nicht«, bettelte Enid. »Der gutmütige kleine Bengel hat überhaupt nicht an seine eigene Sicherheit gedacht. Seine Tat war zwar irrsinnig, aber durchaus edelmütig! Wäre ich dagewesen, hätte ich vermutlich ebenso gehandelt, denn ich teile seine Abscheu vor Männern, die ein perverses Vergnügen am Töten empfinden.«
Diese Äußerung galt offensichtlich Donald, der peinlich getroffen errötete. Er erhielt nicht die Spur einer Chance, um sich zu verteidigen, denn Enid fuhr fort, Ramses zu loben und zu bewundern, dessen blasierter Gesichtsausdruck vermutlich sogar die Geduld eines Heiligen auf die Probe gestellt hätte. Mit einer für Ramses so typischen Geste wollte er ihr seine Anerkennung für ihre glühende Verteidigung beweisen und bot ihr deshalb eine Lektion in Hieroglyphenschrift – dem größten in seiner Macht stehenden Kompliment – an, und sie schlenderten Hand in Hand ins Haus.
Donald setzte seine Tasse mit einer solchen Wucht auf der Untertasse ab, daß sie zerbrach. »Ich kündige, Mrs. Emerson. Ich habe bewaffneten Truppen und wilden Kerlen ins Auge gesehen, aber Ramses hat mich geschafft.«
»Ramses? Sie meinen Enid, nicht wahr? Nehmen Sie noch etwas Brot mit Butter, Donald.«
»Ich will kein verfluchtes … Entschuldigen Sie bitte, Mrs. Emerson. Ich möchte lediglich allein sein.«
»Allein mit Ihrer Pfeife und Ihrem Opium?« fragte Emerson. »Geben Sie es auf, mein Junge. Sie werden Mrs. Emerson nicht entwischen. Sie ist entschlossen, Sie auf den Pfad der Tugend zurückzubringen, und das wird sie auch tun, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Entschuldigt mich bitte. Ich glaube, ich gehe ins Haus und arbeite an meinen Aufzeichnungen.«
»Emerson ist so taktvoll«, sagte ich, nachdem die stattliche Gestalt meines Gatten im Haus verschwunden war. »Er weiß, daß ich vertraulich mit Ihnen sprechen möchte, Ronald – verzeihen Sie, Donald. Nein, gehen Sie nicht, denn wenn Sie das tun, wird Abdullah Sie zurückholen müssen und Sie solange in den Schwitzkasten nehmen, bis ich geendet habe. Meine Güte, dieser Eigensinn des männlichen Geschlechts! Enid hat mir alles erzählt, Donald.«
Der junge Mann sank in seinen Sessel zurück. »Alles?«
»Nun, fast alles. Sie hat mir nicht direkt zu verstehen gegeben, daß sie Sie liebt, aber es war nicht schwierig für mich, das auch so zu begreifen. Ich bin immer wieder überrascht …«
Donald sprang auf. »Sie liebt mich?«
»… über das Unvermögen der Männer, Dinge zu erkennen, die sich direkt vor ihren Augen abspielen. Und Sie lieben sie …«
»Sie lieben? Sie lieben!«
»Sie klingen wie ein Papagei. Setzen Sie sich wieder hin, und hören Sie auf zu schreien, sonst kommen gleich alle angelaufen, um zu sehen, was los ist.«
Langsam ließ sich Donald zurück in seinen Sessel gleiten, er wirkte wie ein Mann, dessen Gliedmaßen ihm nicht mehr gehorchen wollen. Seine Augen, so groß wie Untertassen und so blau wie feinster ägyptischer Türkis, hingen wie gebannt an meinen Lippen.
Ich fuhr fort: »Warum sollte sie Sie sonst verfolgen und davon zu überzeugen versuchen, daß Sie sich verteidigen? Warum sollte sie den widerlichen Aufmerksamkeiten eines Mannes wie Kalenischeff nachgeben, wenn sie Ihnen damit nicht helfen wollte? Warum ist sie so wütend auf Sie? Bedenken Sie meine Worte! Aus alter Freundschaft nimmt eine Frau nicht so viel auf sich. Sie liebt Sie! Aber sie verachtet Sie auch, und das aus gutem Grund. Sie tun Ihrem Bruder keinen Gefallen, indem Sie seine Strafe übernehmen, und wenn Sie dumm genug sind, aus einem abwegigen Gefühl der Ritterlichkeit heraus in Schimpf und Schande zu fallen, gibt Ihnen das immer noch nicht das Recht,
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