Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Meister der Verstellung, diesem Meister …«
»Das will ich nicht hoffen, Ramses. Und ich rate dir, weder die Idee noch diese Umschreibungen vor deinem lieben Papa zu wiederholen.«
»Das würde ich niemals tun, Mama, schließlich habe ich bemerkt, daß diesbezügliche Stellungnahmen Papa in einem solchen Maße erzürnen, das seine normalen Wutausbrüche bei weitem übertrifft. Allerdings habe ich nie verstanden, warum.«
»Weil uns Sethos entwischt ist, das ist der Grund«, erwiderte ich.
Ramses nickte betrübt. »Diese Möglichkeit kam mir auch schon in den Sinn, dennoch erklärt sie Papas merkwürdige Überreaktion nur teilweise. Der Bursche besaß die Dreistigkeit, dich gefangenzuhalten, Mama, und Papas Zuneigung zu dir ist so stark, daß er natürlich an jedem Vergeltung üben würde, der dein Leben bedroht.«
»Ganz recht, Ramses. Er hätte das gleiche empfunden, wenn man dich gefangengehalten hätte.«
»Und doch«, beharrte Ramses, »ist da eine Sache, die ich nicht begreife. Der von Sethos zurückgelassene Brief beispielsweise enthielt mehrere unverständliche Aussagen, Mama. Er schien dich für seine zukünftigen Verbrechen verantwortlich machen zu wollen. Die plausible Schlußfolgerung ist doch dann, daß du irgend etwas hättest tun können, was ihn von seinen dunklen Pfaden abgebracht hätte. Aber ich kann mir nicht vorstellen, was das sein könnte.«
»Das kannst du nicht?« Erleichtert seufzte ich auf. »Nun, Gott sei Dank gibt es einige Dinge … Nichts für ungut, Ramses. Ich bin sicher, wir werden Sethos nie wiedersehen. Dieser Geschichte fehlt seine charakteristische Handschrift. Im übrigen«, fügte ich mit einem Blick auf Percy hinzu, »ziehe ich es vor, dieses Thema auf sich bewenden zu lassen.«
Allerdings widmete Percy der Diskussion keinerlei Aufmerksamkeit. Er hatte irgend etwas aus seiner Jackentasche hervorgeholt und untersuchte es mit einem zufriedenen Lächeln. Es handelte sich um eine geschmackvolle Uhr, die aus massivem Gold zu bestehen schien, und ich wollte schon einwerfen, daß ein solches Stück für einen Jungen seines Alters absolut unpassend sei, als sie mir bekannt vorkam.
»Sie sieht aus wie deine Armbanduhr, Ramses. Die, die dir Miss Debenham geschenkt hat.«
Percy grinste breit. »Es ist Ramses’ Uhr, Tante Amelia. Besser gesagt, sie war es. Er hat sie mir zum Geburtstag geschenkt.«
Ramses’ Gesichtsausdruck wirkte noch ausdrucksloser als sonst. Seinerzeit schien er erfreut über die Uhr, die ihm Enid Debenham (mittlerweile Enid Fraser) unbedingt hatte schenken müssen und die ich selbstverständlich weggelegt hatte, bis er alt genug war, um diese zu tragen. Offensichtlich war er ihrer überdrüssig geworden, oder seine Zuneigung zu der jungen Dame war nach deren Eheschließung erkaltet.
»Du hättest das Geschenk einer Freundin nicht weiterverschenken dürfen, Ramses«, bemerkte ich.
Sofort reichte Percy mir die Uhr. »Daran habe ich nicht gedacht, Tante Amelia. Das tut mir wirklich leid. Hier, ich gebe sie Ramses zurück.«
»Nein, wenn er sie dir geschenkt hat, gehört sie dir. Das war eine großzügige Geste. Allerdings ist sie zu wertvoll, um von einem kleinen Jungen getragen zu werden. Ich werde sie weglegen und deiner Mama zur Aufbewahrung geben, wenn sie kommt.«
»Gewiß, Tante Amelia. Genau darum wollte ich dich bitten. Ich möchte sie nur für kurze Zeit tragen, weil sie so schön ist und weil … weil ich Geburtstag habe.«
Trotz seiner offensichtlichen Enttäuschung war er so tapfer gewesen, daß ich Mitleid mit ihm hatte. »Ich wußte nicht, daß du heute Geburtstag hast, Percy. Natürlich müssen wir irgend etwas unternehmen, um diesen Anlaß zu würdigen. Morgen werden wir dann alle gemeinsam feiern. Was würdest du gern machen?«
Violet sprang auf. »Wenn Percy eine Geburtstagstorte und Süßigkeiten zum Tee bekommt, darf ich dann auch zwei Stück Kuchen essen? Oder vielleicht drei?«
»Wir werden sehen«, erwiderte ich kurz angebunden. »Dein Bruder hat Geburtstag, und es ist seine Entscheidung, was wir machen sollen. Überlege es dir, Percy, und teile es mir morgen früh mit.«
Percys Lippen zuckten. »Oh, Tante Amelia, du bist so nett und freundlich. Vielen, vielen Dank. Dir auch, Cousin Ramses – für die wunderschöne Uhr.« Er versetzte Ramses einen freundlichen Klaps auf die Schulter. Ramses schlug zurück, und obwohl es noch recht früh war, schickte ich alle drei auf ihre jeweiligen Zimmer.
Ich hatte beschlossen, mich zum
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