Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Wagen Platz geboten hätte. Mit Gargerys tatkräftiger Unterstützung kletterten wir hinaus; und während Emerson ängstlich den Inspektor beobachtete, der sich in einem Zustand leichter Katatonie zu befinden schien, nutzte ich die Gelegenheit, meine Umgebung zu untersuchen.
Das hintere Ende des Flügels, in dem der Tempel untergebracht war, war ein einziges Flammenmeer. Das Feuer drang aus den Fenstern und loderte auf dem Dachstuhl. Jede Rettung war aussichtslos, deshalb wandte ich meine Aufmerksamkeit Ramses zu.
Vermutlich war ihm nicht die Zeit geblieben, sich umzuziehen. Er war so gekleidet, wie ich ihn schon einmal aufgegriffen hatte, wie ein zerlumpter, schmutziger kleiner Straßenjunge. Ein Auge war halb zugeschwollen. Mir war völlig entgangen, daß Percy sein Auge verletzt hatte.
»Miss Minton«, sagte ich unvermittelt. »Ich nehme nicht an, daß ihr –«
»Wir haben die junge Dame, Madam«, erwiderte Gargery. »Sie saß gemeinsam mit dem Herrn in der Kutsche – nun, ver mutlich sollte ich ihn nicht als Herrn bezeichnen, da Ihr Sohn meinte …«
»Wir?« wiederholte ich. »Sie und Ramses und –«
»Henry und Tom und Bob – alle Diener, Madam. Und der andere junge Herr.«
Hinter mir vernahm ich Emersons Schnauben: »Nun kommen Sie schon, Cuff, so benimmt sich doch kein Erwachsener«, das von einer lautstarken Backpfeife begleitet wurde. Sie erfüllte ihren Zweck; Cuff erwiderte mit schwacher Stimme: »Danke, Professor. Verzeihen Sie. Ich glaube nicht, daß ich etwas Derartiges schon jemals erlebt habe … Nun gut. Was geht hier vor, hm?«
Ich glaube, das galt Gargery, aber natürlich war es Ramses, der reagierte, und ich muß sagen, er faßte sich so kurz wie möglich. »Wir trafen vor wenigen Minuten am Schauplatz des Geschehens ein, Sir, gerade noch rechtzeitig, um eine Kutsche aufzuhalten, die ziemlich schnell in Richtung Tor fuhr. Aus Angst, daß Mama – denn zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewußt, daß sich Papa ebenfalls hier aufhielt – im Innern sein könnte, zwang ich die Kutsche zum Anhalten. Allerdings feuerte besagter Gentleman eine Pistole ab, schoß ein Loch durch Bobs Kappe und brachte Henrys Daumen eine unwesentliche Verletzung bei. Nach einem kurzen Handgemenge konnte der Gentleman überwältigt werden, und ich stellte fest, daß es sich bei der Dame im Fond nicht um Mama, sondern um Miss Minton handelte, die sich im Zustand leichter Trunkenheit zu befinden schien. Allerdings bemerkte ich bei näherer Überprüfung – soll heißen: Ihres Atemgeruchs –, daß eher Opium als Alkohol –«
»Und wo sind die Insassen der Kutsche jetzt?« drängte Emerson.
»Hinter dem Tor, Bob und Henry halten Wache«, erwiderte Ramses. »Wir anderen stürmten sofort in Richtung Haus, denn wir hatten dank beharrlichen Nachfragens von Mr. Gargery erfahren, daß man euch im Keller eingesperrt hatte und daß – bitte entschuldigt diese melodramatische Umschreibung – das Wasser rasch höher stieg. Ich hörte Papas Stimme –«
»Ja, schon gut, mein Junge, wir wissen, was dann passierte«, sagte Cuff. »Und diese Person ist –«
»Gargery, unser Butler«, erwiderte ich.
Cuff starrte Gargery an, der einen Totschläger in der Hand schwang.
»Butler«, wiederholte er.
»Ist doch jetzt unwichtig«, meinte Emerson unwirsch. »Während wir hier Schwätzchen halten, brennt das Haus wie eine Fackel. Sollen wir nicht die Feuerwehr alarmieren? Und was ist mit dem Personal? Besser, wir holen sie raus, was?«
»Ich bezweifle, daß unmittelbare Gefahr droht, Papa«, erwiderte Ramses wohlüberlegt. »Das Feuer ist noch ein gutes Stück von dem Hauptteil des Hauses entfernt, und ich höre Schreie und Alarmrufe, die mich vermuten lassen, daß die Bewohner die Gefahr bemerkt haben. Aber ich werde gehen und mich vergewissern.«
Er trottete davon.
Das Feuer loderte so hell, daß es gräßliche Schatten auf die gepflegte Rasenfläche warf. Der alte Flügel war bald schon eine trostlose Ruine; die Fenster waren ausgebrannt, und Flammen zuckten wie grellrote Fahnen aus den dunkel gähnenden Öffnungen. Es war ein Anblick von gräßlicher Schönheit, und wir betrachteten das Ganze schweigend. Emerson hatte seinen Arm um mich gelegt, und Cuff hielt den Kopf gesenkt.
»Er war tot, Emerson, nicht wahr?«
»Ja, meine Liebe.« Nach einer Weile bemerkte Emerson in seltsamem Tonfall: »Ein nobles Ende, bei dem Versuch, eine hilflose Frau vor einem schlimmeren Schicksal als dem Tod zu bewahren, zu sterben. Was,
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