Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
wir?«
O’Connell schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Die Unterhaltung mit Ihnen übt eine merkwürdige Wirkung auf meinen Verstand aus, Mrs. Emerson.«
»Viele Menschen empfinden es als schwierig, meinen Denkprozessen zu folgen«, gestand ich. »Aber eigentlich, Kevin, setzt Ihr Beruf doch eine rasche Auffassungsgabe, Einfühlungsvermögen und Konzentration voraus. Insbesondere letzteres. Sie müssen lernen, sich zu konzentrieren.
Wir sprachen über Ihre Behauptung, Professor Emerson und ich hätten einer Nachforschung im Falle dieser Flüche zugestimmt.«
»Ich habe nicht gesagt, daß Sie zugestimmt hätten. Ich sagte, man würde Sie zu Rate ziehen.«
»Wer? Die Daily Yell? «
»Ich wünschte, es wäre wahr«, entfuhr es Kevin, während er seine Hand in einer dramatischen Pose auf sein Herz legte. »Meine Verleger würden jede Summe zahlen – jede nur erdenkliche Summe, meine ich –, um Sie und den Professor als Berater zu gewinnen. Darf ich zu hoffen wagen –«
»Nein, das dürfen Sie nicht. Zum einen wäre es unter unserer Würde, wenn unsere Namen im Zusammenhang mit einer professionellen Tätigkeit für eine Zeitung genannt würden – noch dazu für eine so verleumderische wie die Daily Yell –, zum anderen gibt es absolut nichts, weshalb man uns zu Rate ziehen sollte. Wir sind keine Detektive, Mr. O’Connell. Wir sind Wissenschaftler!«
»Aber Sie haben doch auch den Baskerville-Fall aufgeklärt –«
»Dabei handelte es sich um eine völlig andere Sachlage. In diesem Fall wurden wir als Ägyptologen hinzugezogen, da wir die von Lord Baskerville begonnene Arbeit fortführen sollten, dessen mysteriöses Ableben von einer ganzen Reihe entsetzlicher, gefährlicher und verwirrender Zwischenfälle begleitet wurde. Dieser Fall liegt gänzlich anders. Hier handelt es sich um ein Hirngespinst, eine Mr. Kevin O’Connell entsprungene Phantasie.«
»Also wirklich, Ma’am, Sie tun mir unrecht. Mich trifft keine Schuld. Besitzen Sie die Güte, sich das von mir erklären zu lassen?«
»Ich warte schon die ganze Zeit auf Ihre Erklärung.«
Kevin raufte sich seine feuerroten Locken. »Ich war nicht derjenige, der diese Geschichte verbrochen hat. Das war … jemand anderer. Aufgrund der sich anbahnenden Sensation beschlossen meine Verleger, die Sache weiterzuverfolgen. Da ich als gewisse Autorität für das klassische Ägypten sowie übernatürliche Flüche gelte … Ich konnte nicht ablehnen, Mrs. E., ansonsten hätte ich meinen Job riskiert. Was blieb mir also anderes übrig?«
»Hmmmm«, machte ich nachdenklich. »Der von Ihnen erwähnte Konkurrent ist ein gewisser M. M. Minton vom Morning Mirror? Ich erinnere mich, den Namen im Zusammenhang mit verschiedenen Berichten abgedruckt gesehen zu haben, und war verwundert, daß sich der Mirror einem solchen Sensationsjournalismus öffnet. Sie konstruieren eine anrührende Geschichte, Mr. O’Connell, das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß Sie unsere Bekanntschaft schamlos ausgenutzt haben.«
»Aber Sie sind meine Trumpfkarte«, erklärte O’Connell ungerührt. »Meine Bekanntschaft – oder darf ich sagen Freundschaft? Nein, vielleicht doch nicht … Nun, meine Bekanntschaft mit Ihnen und dem Professor ist der einzige Pluspunkt, den ich gegenüber Berufskonkurrenten habe. Mein persönliches Engagement in besagtem Baskerville-Fall sorgte für mein Berufsrenommee – und das Ihre, soweit es die lesende Öffentlichkeit betrifft. Sie und der Professor sind brandaktuell, Mrs. E. Die Leute sind fasziniert von der Archäologie und den Archäologen. Hinzu kommt noch Ihr – wie soll ich es ausdrücken? – Charisma, Ihre Mißachtung sämtlicher Konventionen, Ihr bemerkenswertes Talent im Zuge kriminalistischer Ermittlungen –«
»Ich ziehe den Begriff >Charisma< eindeutig vor«, unterbrach ich ihn. »Ich kann nicht erklären, warum Emerson und ich so häufig in Gewaltverbrechen hineingezogen werden; ich bin geneigt, das einer gewissen Geisteshaltung zuzuschreiben, einer Kenntnis von Verdachtsmomenten, die engstirnigeren Betrachtern entgehen.«
»Das ist zweifelsohne der Fall.« Kevin nickte bekräftigend. »Dann verstehen Sie, warum ich gezwungen war, Ihre Namen zu erwähnen.«
»Alles zu verstehen bedeutet nicht, alles zu entschuldigen«, erwiderte ich. »Das muß aufhören, Mr. O’Connell. Unsere Namen dürfen nie wieder in Ihrer Tageszeitung auftauchen.«
»Aber ich hoffte auf ein Interview«, entfuhr es O’Connell. »Das
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