Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
weiterschob.
An der Stelle, wo die York Street auf den Square trifft, blieb er stehen und bekundete seine Absicht, mich zu verlassen. »Jetzt fühlen Sie sich wieder wohler, Mrs. E.«
»Ich habe mich noch nie unwohl gefühlt, Mr. O. Danke für die Einladung ins Wirtshaus; das war eine überaus interessante Erfahrung. Im übrigen, vergessen Sie nicht, was ich Ihnen ans Herz gelegt habe.«
»Nein, Ma’am.«
»Sie werden meinen Namen nie wieder zu Papier bringen.«
»Gewiß nicht, Mrs. E. Es sei denn«, fügte Kevin hinzu, »ein ungewöhnlich interessanter Zwischenfall träte ein und die anderen Zeitungen bekämen Wind von der Sache und berichteten darüber. Sie erwarten doch zweifelsohne nicht von mir, daß ich als einziger Journalist in ganz London eine solche Story nicht abdruckte, oder?«
»Gütiger Himmel, O’Connell, Sie klingen genau wie Ramses«, sagte ich angewidert. »Es wird keinen solchen Zwischenfall geben. Ich hege keinesfalls die Absicht, mich mit dem im Britischen Museum stattgefundenen Unfug auseinanderzusetzen.«
»Ach, tatsächlich?« Sein ohnehin breiter Mund öffnete sich, allerdings nicht zu einem Grinsen, sondern zu einer wütenden Grimasse. »Bei Gott, ich hätte es wissen müssen … Dieser Nichtsnutz! Diese hinterhältige kleine Schlange –«
»Wer? Wo?«
»Dort.« Kevin wies mit dem Kinn in die Richtung. »Sehen Sie nicht den großen gelben Schirm?«
»Aufgrund des unbeständigen Wetters sind eine ganze Reihe von Regenschirmen unterwegs«, entgegnete ich. »Aber in diesem gräßlichen Nebel ist es unmöglich, irgendwelche Farben auszumachen –«
»Dort, genau dort – vor dem Chalfont House.« Kevins Kehle entfuhr ein inbrünstiger Seufzer. »Liegt dort auf der Lauer wie ein Aas … Zur Hölle mit dieser widerlichen Kreatur!«
Der von ihm erwähnte Schirm war schließlich unschwer zu erkennen, da er im Gegensatz zu den anderen auf dem Gehweg unverändert vor dem hohen Eisentor des Chalfont-Anwesens verharrte. Obgleich sich eine Laterne in der Nähe befand, konnte ich kaum mehr erkennen als besagten Regenschirm. Es handelte sich um ein überaus gewaltiges Exemplar.
»Wer ist das?« fragte ich, während ich meine Augen zusammenkniff, um mehr erkennen zu können.
»Diese hinterhältige Schlange Minton, wer sonst? Vielleicht nehmen Sie besser den Hintereingang, Mrs. E.«
»Unsinn. Ich werde mich nicht wie ein Dieb in das Haus stehlen. Gehen Sie, Mr. O’Connell. Eine Konfrontation zwischen Ihnen und Minton würde lediglich zu Spannungen und Verzögerungen führen.«
»Aber, Mrs. E. –«
»Ich bin recht gut in der Lage, mit hartnäckigen Journalisten fertig zu werden. Wie Sie bereits wissen sollten.«
»Aber –«
Die schwere Eingangstür von Chalfont House sprang auf. Licht fiel auf die Vortreppe; die aus dem Lichtkegel hervortretende Gestalt brüllte in den undurchdringlichen Nebel: »Peabody! Wo steckst duuuu, Peabody? Zum Teufel!«
Ich sah, daß der Butler an Emersons Rockschößen zerrte und ihn zur Vernunft zu bringen versuchte; aber das war zwecklos. Ohne Hut, Mantel, Schal oder Schirm stürmte Emerson die Stufen hinunter in Richtung Eingangstor. Aufgrund seiner Erregung war er nicht in der Lage, den Riegel zurückzuschieben; er klammerte sich an den Zaun und rüttelte fluchend an den Gitterstäben. »Peeeeeea-body! Zur Hölle mit dir, wo steckst duuuuuuu?«
»Ich muß gehen«, sagte ich. Doch ich sprach in den Äther; ein eilig flüchtender Schatten war der einzige Hinweis auf Kevin O’Connell.
Ich rief meinen aufgebrachten Gatten, aber dessen verärgertes Gebrüll übertönte meine Stimme. Als ich ihn schließlich erreichte, hatte sich der gelbe Schirm bewegt. Emerson war unmittelbar damit konfrontiert, lediglich das Eingangstor trennte sie noch voneinander. Er war verstummt; ich vernahm eine andere hohe und gehetzte Stimme. »Und wie ist Ihre Meinung, Professor …«, fragte diese gerade.
»Emerson, was zum … Was hast du hier draußen in diesem Nebel verloren, noch dazu ohne deinen Hut?« wollte ich wissen.
Emerson starrte mich an. »Oh, da bist du ja, Peabody. Da ist etwas vollkommen Ungewöhnliches … Sieh dir das an.«
Woraufhin er den Regenschirm packte und ihn wie ein Wagenrad drehte. Die darunter befindliche Person, die in einer mir unerklärlichen Art und Weise daran festgezurrt zu sein schien, drehte sich ebenfalls, und das Laternenlicht fiel ihr voll ins Gesicht. Ja, werter Leser – ihr Gesicht! Der Journalist war – eine Frau!
»Gütiger
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