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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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schrecklicher Anblick: reglose Gestalten, starr wie Tote, in Reih und Glied im bleichen Mondlicht liegend aufgereiht.
    Wir mußten uns zwischen ihnen hindurchschlängeln. Als ich vorsichtig über einen am Boden Liegenden stieg, sah ich, daß er mich aus wachen Augen anblickte. Hier war der Schlafplatz der Diener, mit dem Himmel als Dach und einer dünnen Matte als Bett. Aber sie schliefen nicht. Man kann behaupten, daß es sich nur um Einbildung handelte, doch ich spürte ihre Gedanken, die sie nicht auszusprechen wagten – Hoffnung, Ermutigung und gute Wünsche – und die mich wie warme, helfende Hände auf meinem Weg begleiteten.
    Jenseits des Tors befanden sich ein Abhang und ein übelriechender Abfallhaufen. Mit gerafften Röcken rannte Mentarit einen schmalen Trampelpfad entlang. Sie war flink wie ein Wiesel, und als sie endlich stehenblieb, war ich außer Atem. Genau unter uns erblickte ich einen vertrauten, von Säulen gestützten Torbogen. Wir standen am äußeren Rand des Friedhofs.
    Als ich mich umsah, war Mentarit verschwunden. Emerson nahm meine Hand. »Noch ein Tunnel, Peabody. Hier hinter dem Felsen ist ein Loch.«
    Es gab dort eine Menge Löcher, Risse und Spalten. Zwar wirkte das, worauf Emerson gezeigt hatte, nicht sonderlich einladend, aber ich quetschte mich dennoch hindurch. Mentarit nahm mich bei der Hand. Emersons breite Schultern blieben stecken, doch schließlich schaffte er es, auch wenn es ihn einige abgeschürfte Hautfetzen kostete.
    Mentarit zündete Licht an. Nun, da wir nicht mehr weithin sichtbar waren, schien sie ruhiger; allerdings setzte sie den Weg in noch rascherem Tempo fort. Die Tunnels sahen genauso aus wie die, durch die wir schon einmal an diesem Abend gekommen waren: eng, dunkel und schmucklos. Vielleicht gehörten sie zu demselben Gangsystem.
    Wir waren bestimmt schon zwanzig Minuten durch diesen Irrgarten gelaufen, als wir endlich eine steile Treppe erreichten. Aus einer Öffnung über uns drang Licht. Ich folgte Mentarit, Ramses hielt sich dicht an mich, und Emerson bildete das Ende unserer kleinen Kolonne. Obwohl die Lampe nicht sehr hell schien, fühlte ich mich nach der Dunkelheit im Tunnel wie geblendet. Mentarit führte mich durch die Öffnung; der Boden dahinter bestand aus kahlem Stein.
    Die Kammer war so klein und niedrig, daß Emersons Kopf die Decke berührte. Ein dunkles Rechteck an der gegenüberliegenden Wand wies darauf hin, daß man den Raum auch auf konventionellere Weise betreten konnte. Abgesehen von einer niedrigen Steinbank gab es keine Möbel. Jemand saß auf dieser Bank – nicht die kräftige Männergestalt, mit der ich gerechnet hatte, sondern eine verschleierte Frau. Neben ihr stand ein weiteres, weißverhülltes Mädchen mit einer Lampe. Mentarit trat auf die andere Seite der Sitzenden, deren goldbestickte Schleier im Licht funkelten.
    »Mein Gott!« rief Emerson aus. »Nicht noch eine!«
    Denn als die Frau sich erhob, hatten wir sofort erkannt, daß es sich nicht um dieselbe Priesterin handelte, die die grausige Stirn des Toten geküßt hatte. Sie war zierlicher und bewegte sich mit größerer Anmut. Ein Schauder durchfuhr sie; ihre zarten Schleier zitterten wie die Schwingen eines verängstigten Vogels. Dann – mit einer plötzlichen, flatternden Geste – schlug sie die Schleier zurück und ließ sie zu Boden sinken.
    Das durchscheinende Gewand unter den Schleiern konnte ihre schlanke Gestalt kaum verbergen. Sie war ein Mädchen an der Schwelle zur Frau mit einem herzförmigen Gesicht, dessen gerundete Wangen in ein leicht spitzes Kinn übergingen. Ihre Haut hatte die zarte Farbe einer Perle und war von einem rosigen Hauch überzogen. Sie hatte blaue Augen – nicht von dem leuchtenden Azur wie Emersons, sondern Vergißmeinnichtfarben. Ihre Augenbrauen waren sanft geschwungen, ihre Wimpern lang. Und das prächtige Haar, schimmernd wie geschmolzenes Gold mit kupfersprühenden Funken, fiel ihr bis über die Schultern hinab.
    Das erste Geräusch, das das Schweigen brach, kam etwa aus der Gegend meines linken Schulterblattes. Es ähnelte dem Gurgeln in einem Wasserschlauch.
    Emerson stieß einen lauten Seufzer aus. Die Lippen des Mädchens zitterten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ich wußte, daß es an mir war, etwas zu sagen, – aber mir fehlten (vielleicht zum erstenmal in meinem Leben) die Worte.
    Das Mädchen richtete sich kerzengerade auf und bemühte sich zu lächeln. »Ich nehme an, Sie sind Professor und Mrs. Emerson«,

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