Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
finden«, tröstete mich Reggie und tätschelte meine Hand.
»Komm, leg dich hin, Liebling«, meinte Emerson. Er begleitete mich in mein Schlafzimmer.
Nachdem wir so endlich unter vier Augen waren, stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß ich nicht mehr mit dem Weinen aufhören konnte. Emerson nahm mich in seine Arme, und ich schluchzte an seiner männlichen Brust. »Ihm wird nichts geschehen, Peabody.«
»In der Dunkelheit, ganz alleine, verirrt …«
»Psst, Liebling. Ich wette, daß er sich nicht verirrt hat und den Rückweg jederzeit findet. Und außerdem ist er auch nicht in der Dunkelheit.«
»Was?« Als ich den Kopf hob, drückte Emerson ihn wieder zurück an seine Brust. »Psst! Ich habe es gesehen, als Nasty in die Öffnung leuchtete – ein abgebranntes Streichholz, das jemand absichtlich auf die oberste Stufe gelegt hat.«
Bei einer Überprüfung der Ausrüstungsgegenstände an meinem Gürtel stellte ich fest, daß aus der wasserdichten Dose, in der ich sie aufbewahrte, eine Kerze und eine große Menge Streichhölzer fehlten. Da Ramses sie nicht an diesem Morgen entwendet haben konnte, mußte er sie schon in der Nacht zuvor versteckt haben, da er offenbar mit einem solchen Notfall gerechnet hatte. Also hatte er sich wahrscheinlich auch mit Nahrung und Wasser und weiteren notwendigen Gerätschaften versorgt.
»Er hätte wenigstens die Freundlichkeit besitzen können, mich von seinen Plänen in Kenntnis zu setzen«, meinte ich verärgert, während ich die Streichhölzer und die beiden übriggebliebenen Kerzen wieder an ihrem Platz verstaute. »So etwas Rücksichtsloses und Unbedachtes ist mir noch nie untergekommen. Was zum Teufel hat er vor? Schließlich kann er nicht für immer dort unten bleiben. Und wie sollen wir ihn wiederfinden, wenn …«
»Zumindest war er rücksichtsvoll genug, das abgebrannte Streichholz zurückzulassen«, widersprach Emerson.
»Wahrscheinlich ist es ihm versehentlich heruntergefallen.«
»Er muß seine Kerze oder Lampe angezündet haben, ehe er die Falltür geöffnet hat, Peabody. Die Zimmer im hinteren Teil des Hauses haben keine Fenster, und ohne Licht hätte er weder den Weg noch die Federn gefunden, mit denen man die Falltür zurückklappt. Nein, ich bin mir sicher, daß das Streichholz als Zeichen für uns gedacht war, und es sollte uns genau das mitteilen, was wir daraus entnommen haben: daß er alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat und sich wieder mit uns in Verbindung setzen wird, wenn die Gefahr vorbei ist.«
Er versuchte, mich zu trösten, und das gelang ihm auch eine Weile. Die Lage war nicht ausweglos, wie ich zuerst angenommen hatte – doch trotzdem noch schlimm genug. Da ich wußte, daß Emerson ebenfalls von Sorgen gequält wurde, machte ich ein fröhliches Gesicht und entschuldigte mich für meine vorübergehende Schwäche. Er beantwortete das mit gewohnter Gönnerhaftigkeit: »Meinetwegen kannst du jederzeit zusammenbrechen, Peabody. Ich fand es recht amüsant.«
Die nagende Sorge um Ramses ließ mich nur um so mehr darauf brennen, Amenit schachmatt zu setzen. Allerdings stellte Reggies Anwesenheit eine unerwartete Komplikation dar. Ich wünschte mir aus ganzem Herzen, Nasty – wie Emerson Nastasen nannte – hätte den jungen Mann nicht zu uns zurückgeschickt. Einige Tage mehr im Kerker hätten ihm schon nicht geschadet.
So bald wie möglich nahm ich Amenit beiseite und warnte sie davor, ihrem Geliebten etwas von unserem Plan zu verraten. »Wenn Ihr es ihm erzählt, wird er Euch das gleiche sagen wie alle Männer, nämlich, daß er Euch so liebt, wie Ihr seid. Das glaubt er zwar, aber es ist nicht wahr. Ihr solltet ihn mit Eurer neuen Schönheit überraschen.«
Sie stimmte mir zu, daß das ein ausgezeichneter Einfall sei.
Ich überließ es Emerson, Reggie mit abwegigen Fluchtplänen zu beschäftigen, und zog mich mit Amenit in mein Zimmer zurück, wo die von mir angeforderten Zutaten standen. Während ich sie zusammenrührte und -mischte, sang ich lateinische und hebräische »Beschwörungsformeln« und vollführte einen großen Hokuspokus.
Mit meiner Behauptung, ich hätte Arsen und andere Gifte bei mir, hatte ich meinen lieben Emerson nur auf den Arm genommen – obwohl es vielleicht ratsam wäre, derartige Substanzen in Zukunft bei sich zu führen. Im guten alten England hätte ich zahlreiche Giftpflanzen auf Feldern und in Hecken pflücken können. Hier jedoch standen mir solche Reichtümer der Natur nicht zur
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