Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Forth.<
>Und Sie liegen immer noch daneben, Emerson.< Forth beugte sich vor und stützte sich mit beiden Ellbogen auf den schmutzigen Tisch. Mit leuchtenden Augen sah er mich an. Ich hatte eine unheilvolle Vorahnung, und es hätte mich nicht gewundert, wenn hinter ihm Gevatter Tod mit der Sense erschienen wäre. >Was geschah nach dem Fall von Meroë mit der königlichen Familie und dem Adel? Wohin sind sie geflohen? Sie kennen doch die arabischen Legenden über die Söhne Kuschs, die der untergehenden Sonne entgegenwanderten – nach Westen durch die Wüste in eine verborgene Stadt …<
>Geschichten, Legenden, Märchen!< rief ich aus. >Sie beruhen genausowenig auf Fakten wie die Sage von König Artus, der von drei Königinnen auf die Insel Avalon entführt wurde. Oder die von Karl dem Großen, der mit seinen Rittern unter einem Berg schläft …<
>Oder die homerischen Legenden über Troja<, entgegnete Forth.
Ich beschimpfte ihn und Heinrich Schliemann, dessen Entdeckungen Verrückte wie meinen Freund in ihren Wahnideen bestärkt hatten. Forth hörte mir nur dümmlich grinsend zu und kramte dann in seinen Jackentaschen – ich nahm an, er suche seine Pfeife. Statt dessen zog er eine kleine Schachtel heraus, reichte sie mir und forderte mich mit einer großartigen Geste auf, den Deckel zu öffnen. Als ich das tat … Peabody, du erinnerst dich doch noch an die Ferlini-Sammlung im Berliner Museum?«
Von dieser Frage überrascht, wollte ich schon den Kopf schütteln. Doch dann rief ich aus: »Die Juwelen, die Ferlini vor fünfzig Jahren aus Meroë mitgebracht hat?«
»Genau.« Emerson holte einen Bleistift aus der Tasche und fing an, aufs Tischtuch zu malen. Gargery, der diese Angewohnheit Emersons und auch meine übliche Reaktion darauf bereits kannte, schob geschickt ein Blatt Papier unter den Bleistift. Nachdem Emerson mit seiner Skizze fertig war, reichte er sie Gargery, der sie zuerst eingehend betrachtete und sie dann wie eine Gemüseplatte jedem der Anwesenden vorlegte. »Vor mir in der Schachtel lag ein goldenes Armband«, fuhr Emerson fort. »Die Verzierungen, bestehend aus heiligen Kobras, Rauten und Lotosknospen, waren mit roter und blauer Emaille unterlegt.«
Stirnrunzelnd betrachtete Walter die Skizze. »Ich habe einmal eine Lithographie eines ähnlichen Schmuckstücks gesehen, Radcliffe.«
»In Lepsius’ Denkmäler «,erwiderte Emerson. »Oder vielleicht im offiziellen Katalog des Berliner Museums aus dem Jahre 1894. Ein Armband des gleichen Typs und mit ähnlicher Verzierung wurde von Ferlini in Meroë gefunden. Also war mein erster Gedanke, daß Forths Armband ebenfalls aus Meroë stammen mußte. Die Bewohner dieser Gegend plündern schon seit Ferlinis Zeiten die Pyramiden und hoffen, einen weiteren Schatz zu finden. Allerdings war das verdammte Ding nahezu unbeschädigt, und die Emaille war so frisch, als habe man sie eben erst eingebrannt. Es mußte sich um eine moderne Fälschung handeln – aber welcher Fälscher würde Gold benutzen, das so rein war, daß man es mit den Fingern biegen konnte?
Ich fragte Forth, woher er es habe, und er erzählte mir eine unglaubwürdige Geschichte: Ein zerlumpter Einheimischer habe ihm das Schmuckstück angeboten und ihm vorgeschlagen, ihn zu der Quelle dieser Reichtümer zu führen. Dieser Ort liege weit in der westlichen Wüste in einer geheimen Oase, wo es Gebäude so groß wie die Tempel in Luxor gebe. Außerdem lebe dort ein merkwürdiger Stamm von Zauberern, die goldenen Schmuck trügen und ihren dämonischen Göttern Blutopfer darbrächten …« Emerson schüttelte den Kopf. »Ihr könnt euch vorstellen, wie ich mich wegen dieser absurden Geschichte über ihn lustig gemacht habe. Vor allem, als er mir mitteilte, der bedauernswerte Einheimische habe an einem Fieber gelitten, dem er wenige Tage später erlegen sei.
Meine Argumente verfehlten ihre Wirkung auf Forth. Er trank ziemlich viel, und als ich es schließlich aufgab, ihm seinen verrückten Plan ausreden zu wollen, stellte ich fest, daß man ihn in seinem Zustand nicht sich selbst überlassen durfte. Er wäre sofort überfallen und ausgeraubt worden. Deshalb erbot ich mich, ihn zu seinem Hotel zu begleiten. Er war einverstanden und sagte, ich müsse unbedingt seine Frau kennenlernen.
Sie hatte auf ihn gewartet, aber nicht damit gerechnet, daß er einen Fremden mitbringen würde. Sie war in ein flauschiges, weißes Gewand gehüllt, das von Spitzen und Rüschen nur so überquoll; es gehörte wohl
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