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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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auf mich wieder einem Gegenstand – oder, wie ich vermutete, einer Person – hinter ihnen zu.
    Die Hitze, die Dunkelheit, der starke Parfümgeruch der Frauen (und der Gestank ungewaschener Körper, den sie mit diesem Parfüm zu überdecken versuchten) waren mir nichts Neues. Doch mir stieg ein weiterer, unterschwelliger Geruch in die Nase – widerwärtig süßlich und leicht durchdringend. Möglicherweise ließ mich dieser eigenartige Geruch die Regeln der Höflichkeit vergessen. Vielleicht war es auch die Ungewißheit, was mit meinem Sohn geschehen war. Jedenfalls schob ich die Frauen beiseite, damit ich etwas sehen konnte.
    Auf dem Boden lag ein Teppich oder eine gewebte Matte mit blauem, orangerotem, grünem und braunem Muster. Darauf saß mein Sohn im Schneidersitz. Seine Hände hielt er seltsam starr mit nach oben gedrehten Handflächen von sich gestreckt. Ihm gegenüber kauerte die merkwürdigste Gestalt, die mir jemals untergekommen war – und ich bin schon vielen merkwürdigen Gestalten begegnet. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein gefaltetes oder zerknittertes dunkles Stoffbündel, aus dem in eigenartigen Winkeln ein Skelett aus Knochen oder Holz stak. Mein wacher Verstand identifizierte es als ein hockendes menschliches Wesen. Mein Mutterherz wurde von einer Erregung ergriffen, die an Todesangst grenzte, als meine suchenden Augen am oberen Ende dieser kantigen Gestalt kein menschliches Antlitz zu sehen vermochten. Dann regte sich die Gestalt. Ein dicht verschleiertes Gesicht erschien, und eine dunkle Stimme murmelte in leisem Singsang: »Schweigt. Schweigt. Der Zauber ist gesprochen. Weckt den Schlafenden nicht.«
    Die Hauptfrau trat an meine Seite. Schüchtern legte sie mir die Hand auf die Schulter und tuschelte: »Er ist ein Zauberer und hat übernatürliche Kräfte. Sitt Hakim – so wie du. Ein alter Mann, ein heiliger Mann – eine große Ehre für den Knaben. Ihr sagt es doch nicht meinem Gebieter? Es ist ganz harmlos, aber …«
    Der alte Scheich mußte ein nachsichtiger Gebieter sein, denn sonst hätten die Frauen wohl kaum gewagt, sich einen Mann – ganz gleich, wie heilig er auch sein mochte – in ihren Harem zu holen. Allerdings würde er sich gezwungen sehen, einen solch himmelschreienden Verstoß gegen die guten Sitten zur Kenntnis zu nehmen, wenn jemand wie ich ihm davon Mitteilung machte. Also flüsterte ich beruhigend: » Taiyib mâtakhâfsh (Es ist alles in Ordnung, sorge dich nicht)«, obwohl mir in Wirklichkeit ziemlich mulmig zumute war.
    Ich hatte solche Darbietungen in den sûks von Kairo gesehen. Das Starren in eine Kristallkugel oder die Trance waren wohl die häufigsten Methoden, die Zukunft vorherzusagen. Selbstverständlich ist das alles Unsinn. Was der Betrachter in einer Kristallkugel, in einem Wasserbecken oder (wie in diesem Fall) in einer auf die Handfläche geträufelten Flüssigkeit sieht, ist nichts weiter als eine optische Täuschung. Die irregeleiteten Zuschauer jedoch sind fest davon überzeugt, daß der Wahrsager tatsächlich in der Lage ist, die Zukunft vorherzusehen oder einen verborgenen Schatz zu entdecken. Oft benützt er dazu ein Kind als Medium, und zwar in dem (naiven) Glauben, die Unschuld der Jugend wäre für spirituelle Einflüsse am empfänglichsten.
    Ich wußte, es wäre nicht nur unhöflich, sondern auch gefährlich gewesen, die Zeremonie zu stören. Ramses war tief in eine heidnische Trance versunken, aus der nur die Stimme des Zauberers ihn wieder erwecken konnte. Dieser beugte sich nun über die Hände des Jungen und murmelte etwas, jedoch so leise, daß ich kein Wort verstand.
    Ich machte es den armen, gelangweilten Frauen nicht zum Vorwurf, daß sie die Zeremonie gestattet oder den Wahrsager überhaupt hereingelassen hatten, der offenbar ernsthaft an seinen eigenen Hokuspokus glaubte. Aber ich war auch nicht gewillt, müßig herumzustehen, solange es dem Mann in den Kram paßte. Also sagte ich sehr leise: »Wie allgemein bekannt, bin ich, die Sitt Hakim, ebenfalls eine Magierin mit großen übernatürlichen Kräften. Ich fordere diesen heiligen Mann hiermit auf, die Seele dieses Jungen in seinen Körper zurückzurufen. Sonst könnten die Efreets (Dämonen), die ich zum Schutze meines Sohnes bestellt habe, die Absichten des heiligen Mannes mißverstehen und ihm das Herz aus dem Leibe reißen.«
    Entsetzt und begeistert schnappten die Frauen nach Luft. Vom »heiligen Mann« erfolgte zunächst keine Reaktion, doch nach einer Weile richtete

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