Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
Nun, vielleicht hatte ich es doch nicht so genossen, wie ich gedacht hatte! Ganz sicher war die Vorstellung, einen dauerhaften Stützpunkt zu haben, sehr verlockend. Ich malte mir schon aus, wie das Haus aussehen sollte: ein geräumiger, bequemer Wohnbereich, ein Photoatelier, ein Büro für die Buchführung … vielleicht sogar eine Schreibmaschine und ein Mensch, der sie bedienen konnte. Im Geiste hatte ich mir schon den Stoff für die Wohnzimmervorhänge ausgesucht, als Emerson, der über der Karte brütete, zum erstenmal den Mund aufmachte.
»Wir wollen uns doch wohl nicht südlich von Luxor niederlassen, oder? Außer, es gibt zwischen Luxor und Assuan eine Stelle, nach der du dich besonders sehnst.«
»Nicht, daß ich wüßte. Im Gebiet von Theben bestehen allerdings einige Möglichkeiten.«
Wir hatten beschlossen, auf dem Zimmer zu frühstücken, um unter uns zu sein, und weil Emerson sich nicht für eine Mahlzeit im Speisesaal feinmachen wollte. Sein Hemd stand am Hals offen, und er hatte die Ärmel über die Ellenbogen hochgekrempelt. Wie er so bequem dasaß, die langen Beine ausgestreckt, die Pfeife in der einen Hand, den Stift in der anderen, lenkte er – ungewollt – fast von meinem eigentlichen Vorhaben ab. Er bemerkte meinen zärtlichen Blick nicht und schob die Karte zu mir hinüber. »Schau her, Peabody. Ich habe die Orte meiner Wahl angekreuzt. Du kannst welche hinzufügen oder streichen.«
»Ich glaube, ich streiche lieber«, sagte ich nach einem Blick auf die dicken Kreuze, die die Karte zierten. »Wir müssen die Wahlmöglichkeiten auf ein halbes Dutzend oder weniger beschränken. Beni Hassan zum Beispiel wäre nicht meine erste Wahl.«
Emerson stöhnte verzweifelt. »Seit meinem ersten Besuch sind die Gräber stark verfallen. Man muß die Abbildungen und Inschriften dringend kopieren.«
»Das gilt für fast jeden Ort, den du angekreuzt hast.«
So setzte sich die Debatte fort, und nach ein oder zwei erfrischenden Stunden hatten wir die Liste auf drei gekürzt – Meidum, Amarna und das westliche Theben –, und ich hatte Emersons Vorschlag zugestimmt, daß wir vor der endgültigen Entscheidung die Ausgrabungsstätten zuerst einmal in Augenschein nehmen sollten.
»Es ist noch früh in der Saison«, erinnerte er mich. »Und wir hatten jahrelang nicht die Muße, Touristen zu spielen. Ich hätte Lust, mir das Grab anzusehen, das Loret im vergangenen Jahr entdeckt hat. Der verdammte Trottel hat einige Mumien dort zurückgelassen.«
»Fluche nicht, Emerson«, sagte ich automatisch. »Es wäre nett, das liebe alte Tal der Könige wiederzusehen. Was hältst du davon, mit Meidum anzufangen, da es ganz in der Nähe ist?«
»In der Nähe kann man wohl nicht sagen. Gestehe, Peabody, du bevorzugst Meidum, weil es dort eine Pyramide gibt.«
»Irgendwo müssen wir ja anfangen. Nach Meidum können wir …«
Ein Klopfen unterbrach mich. Der Safragi kam mit einem Blumenstrauß herein. Ich hatte am Vorabend schon einige Gebinde von unseren Gästen erhalten. Das größte und extravaganteste stammte von Monsieur Maspero. Da keine Vase frei war, schickte ich den Diener hinaus, um noch eine zu holen, während ich das hübsche Arrangement aus Rosen und Mimosen bewunderte.
»Keine roten Rosen?« fragte Emerson lächelnd. »Ich würde nie zulassen, daß du rote Rosen von einem anderen Herrn annimmst, Peabody.«
In der Blumensprache bedeuten rote Rosen Liebe. Es war beruhigend, ihn so scherzhaft über ein Thema sprechen zu hören, das ihn früher zu eifersüchtigen Tobsuchtsanfällen hingerissen hatte. So sagte ich mir wenigstens.
»Sie sind weiß«, antwortete ich ziemlich knapp. »Ich frage mich, wer … Ach, da ist ja eine Karte. Mr. Vincey! Ein wirklicher Gentleman, das muß ich sagen. Schließlich hatte ich kaum Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Übrigens, Emerson, das wollte ich dich schon längst fragen – was war denn das für eine schreckliche Geschichte, auf die du angespielt hast?«
»Der Schatz von Nimrud. Du hast bestimmt davon gelesen.«
»Ich erinnere mich an die Zeitungsberichte, aber das war einige Jahre, bevor ich anfing, mich persönlich für Archäologie zu interessieren. Es war ein ziemlich reicher Fund – goldene und silberne Gefäße, Juwelen und so weiter. Soweit ich weiß, wurde alles ans Metropolitan Museum verkauft.«
»Richtig. Was die Zeitungen allerdings nicht berichteten, weil sie die Gesetze, was üble Nachrede betrifft, gut kennen, war, daß man Vincey verdächtigte, den
Weitere Kostenlose Bücher