Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
kahl wie die Wüste selbst. Wir folgten einem Serpentinenpfad, der durch märchenhafte Felsenformationen in eine kreisrunde Vertiefung führte, die von schartigen Kalksteinklippen umgeben war. Der Boden bestand aus feinem, weißen Sand. Der blaue Himmel über uns war der einzige Farbtupfer in dieser Szenerie; kein grünes Gewächs, nicht einmal ein Büschel Unkraut oder ein Grashalm, um das Auge zu erfreuen.
In grauer Vorzeit einmal hatte es in diesem verdorrten Amphitheater Wasser im Überfluß gegeben. Die Wadis waren in prähistorischen Zeiten in den weichen Kalkstein geschnitten worden, als die Wüste noch blühte wie ein Rosengarten und Ströme sich von Thebens Hügeln hinab in den Fluß ergossen. Heute sind diese Hügel zuweilen Schauplatz seltener, dafür aber um so heftigerer Springfluten, die Geröll in die Täler und in die Gräber spülen.
Ein Skorpion versuchte eilig, meinem Fuß zu entkommen; das Tier und der Falke über uns waren die einzigen Lebewesen weit und breit, obwohl die dunklen Flecken, die im sonnengebleichten Kalkstein deutlich sichtbar waren, auf Fledermausnester hindeuteten. Steil erhoben sich die zerklüfteten Felswände. Hunderte, nein, Tausende von Nischen, Vorsprüngen, Simsen und Höhlen überzogen den Stein mit einem schartigen Muster. Die Stille war vollkommen, denn der Sand dämpfte sogar den Klang unserer Schritte. Man hatte eine beklemmende Scheu, dieses Schweigen zu brechen.
Ich brach es; allerdings erst, nachdem Abdullah und Daoud losgezogen waren, um eine vielversprechende Höhle in Augenschein zu nehmen. Sie ahnten beide nicht, was wir an diesem Tag wirklich vorhatten. Da wir unsere treuen Männer nicht nach Nubien mitgenommen hatten – es wäre unmöglich gewesen, Transport und Ernährung so vieler Menschen in einem Kriegsgebiet sicherzustellen –, wußten sie nicht mehr von unseren Erlebnissen im vergangenen Winter, als allgemein bekannt war. Außerdem verhält sich die Wahrscheinlichkeit der Geheimhaltung umgekehrt proportional zur Anzahl der eingeweihten Personen.
»Dieser Ort ist bestimmt abgelegen und einsam genug für unsere Zwecke«, sagte ich. »Aber ist es auch glaubhaft, kuschitische Königsszepter ausgerechnet hier zu finden?«
»Die Ägyptologie steckt voller ungelöster Rätsel«, belehrte mich Emerson. »Also geben wir unseren Kollegen eine neue Nuß zu knacken, und lassen wir sie endlich darüber debattieren, wie diese bemerkenswerten Gegenstände wohl in eine Felshöhle geraten sein könnten.«
»Diebesbeute«, schlug ich vor. Meine Phantasie arbeitete fieberhaft. »Versteckt von einem skrupellosen Verbrecher, der nicht mit seinen Komplizen teilen wollte. Ein Unfall oder seine Verhaftung hinderten ihn daran, sie wieder abzuholen.«
»So wird man es sich zweifellos erklären. Aber woher hatte der Dieb die Szepter? Ich höre jetzt schon, wie Petrie und Maspero die nächsten zwanzig Jahre über die Frage diskutieren.«
Seine Augen funkelten vergnügt. Ich hatte den Eindruck, daß er fast zu viel Freude an diesem Streich hatte. »Schade, daß wir es tun müssen«, sagte ich.
Emerson machte wieder ein ernstes Gesicht. »Du glaubst doch nicht, daß mir das Spaß macht, oder?« Er gab mir keine Gelegenheit zu antworten, sondern sprach weiter. »In diesem Fall kommt die Wahrheit nicht in Frage. Außerdem würde sie den albernen Spekulationen gewiß kein Ende bereiten. Denke an die Mumie im Königsgrab in Amarna. Ich habe Newberry an unserem ersten Abend sämtliche Fakten unterbreitet, aber ich glaube keinen Augenblick daran, daß das Rätselraten deswegen aufhört. Denke an meine Worte, wahrscheinlich werden Fachzeitschriften noch jahrelang das Gerücht wiederkäuen, daß Echnatons Mumie in Amarna gefunden wurde. Und außerdem …«
»Schon gut, Liebling«, sagte ich beruhigend, denn ich erkannte an diesen Symptomen, daß er es für nötig befand, sich zu rechtfertigen. Betrug widerspricht seinem klaren, wachen Verstand, aber er hatte recht. Was sollten wir sonst tun? »Welche Theorie wirst du vertreten?« fragte ich.
»Daß hier noch weitere Königsmumien versteckt sind, meine liebe Peabody. Zwei wurden bereits gefunden, ebenso einige Hohepriester späterer Dynastien. Trotzdem fehlen uns noch die Priesterinnen. Wo liegen die Begräbnisstätten der göttlichen Gemahlinnen Amons – der Anhängerinnen dieses Gottes –, die Theben während der fünfundzwanzigsten und sechsundzwanzigsten Dynastie regierten? Einige von ihnen waren kuschitische
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