Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
konntest du nur? Du hast den Tunnel bereits untersucht, ohne mich ins Vertrauen zu ziehen!«
Er wirkte ein wenig verlegen. »Ich habe mich lediglich kurz umgesehen. Nur so weit der Lichtschein der Kerze reichte. Ich habe in das verdammte Loch nicht hineingepaßt; es ist zu eng für mich.«
»Aber für mich nicht. Laß mich es versuchen.«
Emerson umarmte mich und meinte, er werde das niemals zulassen. Dann fügte er hinzu: »Dein Umfang und die Ausmaße des Tunnels sind nicht miteinander zu vereinbaren, Peabody. Du würdest ganz sicher steckenbleiben.«
»Du könntest mich ja an den Füßen herausziehen.«
»Und Gefahr laufen, daß dir etwas zustößt? Das kommt nicht in Frage. Ramses könnte es vielleicht schaffen.«
»David ist noch magerer als Ramses.«
Als Emerson schwieg, fuhr ich fort: »Du vertraust ihm noch immer nicht. Das ist ungerecht.«
»Möglich. Aber was hat er bis jetzt getan, um sich unser Vertrauen zu verdienen? Zweimal hat Ramses inzwischen sein Leben riskiert, um den Jungen zu retten, zuerst vor dem Tod und dann vor dem Verdacht, ein schändliches Verbrechen begangen zu haben. Trotzdem beharrt David darauf, er habe uns nichts zu sagen, was uns helfen oder die Frage beantworten könnte, warum ihm angeblich Gefahr droht.«
Da ich sehr beschäftigt war, hatte ich David in den letzten Tagen kaum gesehen. Er begleitete uns immer zum Grab, denn ich fand, daß er dort besser aufgehoben war als auf dem Boot. Doch er hielt sich im Hintergrund und ging allen – bis auf Nefret und Ramses – aus dem Weg. Emersons Bemerkungen hatten mich mehr beunruhigt, als ich zugeben wollte, weshalb ich beschloß, so bald wie möglich ein ernstes Wörtchen mit dem Jungen zu reden.
Die Gelegenheit bot sich mir am Morgen nach Mr. O’Connells Ankunft. Einen Tag zuvor hatte Mohammed die Treppe fertiggestellt, und nun machten sich die Männer unter Emersons Aufsicht daran, sie anzubringen. Bevor sie das erledigt hatten, gab es für mich nichts zu tun, und O’Connell – der mit gezücktem Notizbuch und frisch wie der junge Tag erschienen war – beobachtete gebannt die Arbeiten. Also machte ich mich auf die Suche nach David.
Am Fuße des Hügels gibt es viele unvollendete und noch unerforschte Schächte, die zu Privatgräbern gehörten, und David hatte sich wie ein frühchristlicher Einsiedler eines von ihnen als Versteck ausgesucht. Er – oder Ramses und Nefret – hatte sich dort mit einer Matte, einem Wasserkrug und einigen Körben häuslich eingerichtet. David kauerte auf dem Boden und bearbeitete einen Gegenstand zwischen seinen Knien mit Hammer und Meißel. Bei meinem Anblick machte er Anstalten, ihn zu verstecken, aber es gab dazu keinen Platz. Der Gegenstand war etwa so groß wie meine beiden Fäuste – ein Kopf im altägyptischen Stil. Ich konnte nur die Hinterseite sehen, die offenbar eine Art Kopfschmuck darstellte.
»Guten Morgen«, begrüßte ich ihn freundlich. »Schön, daß du dir eine Beschäftigung gesucht hast, David. Man sollte nie aus der Übung kommen.«
»Guten Morgen, Sitt Hakim«, lautete die ernste Antwort. »Hoffentlich geht es Ihnen gut. Hoffentlich haben Sie gut geschlafen.«
Die Worte klangen so steif, daß ich wahrscheinlich gelächelt hätte, hätte ich nicht befürchtet, den Jungen zu kränken.
»Vielen Dank. Ich habe sehr gut geschlafen, und es geht mir sehr gut. Dir hoffentlich auch. Darf ich sehen, was du da machst?«
Er legte seine Werkzeuge vorsichtig in den Korb und reichte mir wortlos die Skulptur.
Sie war noch unvollendet, der Kopfschmuck nur grob angedeutet. David hatte sich zuerst mit dem Gesicht befaßt.
Offensichtlich handelte es sich um ein Porträt von Nefret, die Ähnlichkeit war unverkennbar – doch ebenso unverkennbar war die Ähnlichkeit mit einer anderen Person, was durch eine kaum wahrnehmbare Veränderung gewisser Gesichtszüge noch verstärkt wurde, die ich von einer früheren Gelegenheit kannte. Der Kopfschmuck war eine Krone – die Geierkrone ägyptischer Königinnen. David hatte das Auge eines Künstlers. Wollte er seiner neuen Freundin nur schmeicheln, indem er ihr die Attribute der jungen Königin verlieh – oder waren ihm die zufälligen, wenn auch flüchtigen Gemeinsamkeiten von Nefret und Tetischeri stärker aufgefallen als mir? Obwohl es in jedem Fall nur eine harmlose Spielerei bedeutete, war mir nicht ganz wohl dabei. Shelmadine hatte von Reinkarnation geschwafelt, und wahrscheinlich glaubte auch Gertrude an diese lächerliche Lehre. Ich
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