Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Hand zurück.
Immer öfter wanderte mein Blick zu der rechteckigen Öffnung in der hinteren Wand. So sehr ich auch auf den Schutt in der vorderen Kammer gespannt war, es zog mich doch noch mehr zu diesem schwarzen Loch, und ich fragte mich, was sich wohl dahinter befinden mochte. Als Emerson die Arbeiten dieses Tages für beendet erklärte und verkündete, wir würden den Raum in Quadrate aufteilen und ihn am nächsten Tag freilegen, konnte ich es nicht länger ertragen. Da er wie immer als letzter zurückblieb, wartete auch ich.
»Emerson«, flüsterte ich. »Glaubst du … heute nacht?«
Ich wußte, er hatte verstanden, was ich meinte. Sein unruhiger Geist dürstete wie der meine nach Abenteuern und Pioniertaten. Auch er hatte ständig zu der geheimnisvollen Öffnung hinübergesehen.
Trotzdem zögerte er, und als er sprach, klang er merkwürdig unentschlossen. »Ich weiß nicht so recht, Peabody.«
»Hast du eine böse Vorahnung, Emerson?«
»Ich habe niemals böse Vorahnungen!« Eine Fledermaus, die wie erstarrt unter der Decke gehangen hatte, regte sich, und Emerson fuhr, ein wenig leiser, aber nicht minder erregt fort: »Unheil, böse Vorahnungen, müßige Hirngespinste! Behalt deine bösen Vorahnungen für dich!«
»Im Augenblick habe ich gar keine. Ich bin nur schrecklich neugierig.«
»Das erleichtert mich.« Aber er wollte sich immer noch nicht festlegen. Ich griff zu dem entscheidenden Argument – oder beschloß vielmehr, es laut auszusprechen, denn Emerson wußte ebensogut wie ich, daß Ramses die ärgerliche Angewohnheit hatte, seinen Eltern stets eine Nasenlänge voraus zu sein.
»Wenn wir den Tunnel nicht erkunden, wird Ramses es tun – allein und ohne die nötigen Sicherheitsvorkehrungen. Es überrascht mich, daß er es noch nicht versucht hat.«
»Verdammt«, schimpfte Emerson.
Evelyn erwartete mich mit einer Tasse Wasser und einem feuchten Tuch am Fuße der Treppe. »Du siehst erschöpft aus, Amelia«, meinte sie besorgt. »Trink etwas und wisch dir das Gesicht ab.«
Ich dankte ihr und stürzte das Wasser hinunter, das wirklich eine Wohltat war. »Bestimmt hast du es langsam satt, allein hier herumzusitzen«, sagte ich. »Aber es dauert nicht mehr lang, Evelyn; bald werden wir deine Talente brauchen.«
»Ach, es macht mir nichts aus. Ich unterhalte mich gern mit David. Am Anfang war er ein bißchen schüchtern, doch inzwischen ist er aufgetaut. Und«, fügte sie hinzu, »die Katzen haben mir auch sehr nett Gesellschaft geleistet. Eigentlich dachte ich, daß sie einem Grab voller Fledermäuse nicht widerstehen könnten, aber sie sind bei mir geblieben.«
»Das muß an deinem unwiderstehlichen Charme liegen«, sagte ich. »Bastet liebt Gräber und weicht meistens nicht von Ramses’ Seite; diesmal hat sie sich allerdings nur bis zum Eingang vorgewagt.«
Wir eröffneten den anderen unsere Pläne erst, als Gertrude, Sir Edward und Kevin – dessen Andeutungen, er wolle gern zum Tee bleiben, ich ignoriert hatte – sich wieder auf dem Rückweg nach Luxor befanden. Emerson selbst machte die Ankündigung und sagte dann mit einem warnenden Blick auf mich: »Wir versuchen es erst, wenn ich alles gründlich untersucht und mich vergewissert habe, daß keine weitere Einsturzgefahr besteht. Es wird sich nur um eine vorläufige Erkundung handeln, und ehe ich nicht völlig zufriedengestellt bin, machen wir nicht weiter. Verstanden?«
Alle beharrten darauf, uns zu begleiten, und anders als früher versuchte ich nicht, Evelyn ihr Vorhaben auszureden.
Ihre Pumphose, die wir beide mit keinem Wort erwähnt hatten, hatte mich zu Tränen gerührt (oder hätte es, wenn ich nah am Wasser gebaut wäre). Wahrscheinlich hatte sie sich das Ensemble heimlich maßschneidern lassen und es in den seltenen Momenten anprobiert, die sie neben ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter allein für sich hatte – ein Traum, der ihr als Ersatz für das abenteuerliche Leben diente, das ihr versagt geblieben war. Nun bot sich ihr die Gelegenheit zu einem Abenteuer, und ich hatte nicht das Recht, ihr die Gefahren vorzuenthalten, die meinem Dasein erst die richtige Würze gaben.
Am auffälligsten jedoch war Ramses’ Reaktion: Er sagte kein Wort, was an sich schon verdächtig war. »Was ist, Ramses?« fragte ich also.
Eine Weile erwiderte Ramses unverwandt meinen Blick. Dann gab er sich geschlagen: »Für einen zierlich gebauten Menschen besteht kaum ein Risiko. Der Schutt ist zu einer Halde aufgetürmt, und die Schicht wird
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