Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
sehr ähnlich. Trotzdem brütete ich eines Nachmittags, drei Tage nach unserer Abfahrt, angestrengt über einem Schnörkel, als Emerson den Stift niederlegte und das Wort ergriff:
»Wie kommst du voran, Peabody?«
»Ganz gut«, antwortete ich beiläufig und schob ein Blatt Papier über eines der Bücher, da Emerson rnir über die Schulter blickte.
»Hieratisch? Wie mutig von dir, mein Liebling. Du bittest doch sonst immer Walter, die Dokumente in Hieroglyphen zu übertragen.«
»Er hatte in diesem Jahr so viel um die Ohren, so daß ich ihn nicht fragen wollte. Wie du siehst, ist die hieratische Schrift sehr deutlich.«
»Soweit man das fürs Hieratische sagen kann«, meinte Emerson, der eher für Ausgrabungen als für sprachliche Feinheiten zu haben ist. »Wovon handelt der Text?«
»Apophis und Sekenenre. Natürlich werde ich der Geschichte einen neuen Titel geben. ›Das Nilpferdbecken‹.«
Da Emerson schwieg, erklärte ich weiter: »Du erinnerst dich doch an den historischen Zusammenhang. Die Hyksos hatten den Großteil Ägyptens erobert, doch die heldenhaften Prinzen aus Theben stellten sich ihnen entgegen. Dann erhielt Sekenenre, der Herrscher von Theben, ein unverschämtes Schreiben vom Heidenkönig, der viele hundert Kilometer nördlich in Avaris weilte: ›Das Brüllen der Nilpferde in deinem Becken stört meinen Schlaf! Fang sie ein und töte sie, damit ich Ruhe habe.‹«
»Eine ziemlich freie Übersetzung«, bemerkte Emerson trocken. Ehe ich ihn daran hindern konnte, hatte er mir das Blatt entrissen. »Aha, du machst Anleihen bei Masperos Übersetzung.«
»Ich machte keine Anleihen«, erwiderte ich gemessen. »Ich beziehe mich lediglich darauf – und auch auf verschiedene andere Versionen, nur zu Vergleichszwecken.«
»Schön und gut«, sagte Emerson. »Bist du bereit, deine Arbeit zu unterbrechen? Und läßt du bitte die Kinder holen, wenn es dir recht ist? Es wird Zeit, daß wir eine kleine Besprechung abhalten.«
»Ach, wirklich? Hast du jetzt endlich die Gnade, uns von deinen Plänen in Kenntnis zu setzen?«
»Ich sagte dir doch, daß ich zuerst meine Gedanken ordnen mußte. Nun bin ich damit fertig, und es ist mir so gut gelungen, daß ich sogar riskieren kann, mich von meinem Sohn darin unterbrechen zu lassen. Würdest du bitte gehen und ihn und Nefret holen, Liebling?«
Ich schickte einen Steward nach Nefret, doch ich hielt es für ratsamer, mich selbst auf die Suche nach Ramses zu machen. Die Dienstboten weigerten sich, Ramses’ Zimmer zu betreten, seit einer von ihnen beim Wechseln der Laken von einem Fremden mit einer Geschwulst auf der Stirn und einem durch eine abscheuliche Narbe verzerrten Mund erschreckt worden war, der im Bett lag und ihn angrinste (damals machte Ramses bei seinen immer erfolgreicher werdenden Verkleidungsexperimenten gerade eine melodramatische Phase durch). Ich hatte ihm zwar befohlen, die Geschwulst, die Narbe und das gemeine Grinsen in Gegenwart des versammelten Personals ab- und dann wieder anzulegen – aber die Leute ließen es sich nicht ausreden, an seine magischen Kräfte zu glauben.
An jenem Tag jedoch wurde ich nicht von einer Gestalt aus einem Schundroman, sondern von einem derart abscheulichen Gestank empfangen, daß ich zurückfuhr.
»Ramses, bist du etwa schon wieder dabei, etwas zu mumifizieren?«
Ramses, der an seiner Werkbank stand, drehte sich um.
»Ich habe dir doch gesagt, Mutter, daß ich das Studium der verschiedenen Mumifizierungstechniken fürs erste aufgegeben habe. Zu meiner Befriedigung habe ich nämlich meine ursprüngliche Theorie bestätigt gefunden. Um zu genaueren Ergebnissen zu kommen, hätte ich eine menschliche Leiche mumifizieren müssen, was angesichts der momentanen Gesetzgebung und der gesellschaftlichen Wertvorstellungen ziemlich schwierig, wenn nicht gar unmöglich …«
»Dem Himmel sei Dank. Was also tust … Nein, egal, sag es mir lieber nicht. Komm mit. Dein Vater möchte mit uns allen sprechen.«
»Will er uns endlich ins Vertrauen ziehen?«
»Das nehme ich an. Beeil dich und wasch dir die Hände und das Gesicht. Und zieh ein sauberes Hemd an. Was sind das für seltsame … Nein, ich möchte es gar nicht wissen. Nimm einfach ein anderes.«
Ramses gehorchte. Schüchtern versteckte er sich hinter einem Wandschirm, um sich des besagten Kleidungsstücks zu entledigen – ein etwas absonderliches Verhalten, wenn man bedachte, daß er bei den Ausgrabungsarbeiten wie sein Vater meist mit nacktem Oberkörper
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