Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
beschlossen die Kinder, nach Gurneh aufzubrechen und Abdullah zu besuchen. Sie hatten sich wohl darauf geeinigt, sich mit den Pferden »abzuwechseln«; diesmal ritt Nefret Asfur und David eines der Leihpferde. Das verschaffte meinem lieben Emerson und mir eine Teestunde zu zweit, was ein seltenes Vergnügen war, ihn einmal ganz allein für mich zu haben.
Zunächst ging ich die auf uns wartenden Mitteilungen durch. Im großen und ganzen das Übliche – Karten von Neuankömmlingen in Luxor, Einladungen zu einer Partie Tennis sowie eine Abendeinladung an Bord von Mr. Davis’ Dahabije, der Bedawin. Mir blieb nichts anderes übrig, als Emersons Einschätzung zu teilen, daß sich Luxor mittlerweile zu einem Mikrokosmos der langweiligsten Subjekte aus der englischen Gesellschaft entwickelte. Die einzig wichtige Nachricht kam von Cyrus; er bat uns erneut, zu ihm zu kommen, da er noch einen weiteren Gast erwartete. Er fügte hinzu, daß er seine Kutsche vorbeischicken würde und daß wir keine formelle Kleidung benötigten, da es sich um ein »Geschäftsessen« handeln sollte.
Unter diesen Umständen war Emerson natürlich gern bereit zuzustimmen, und im Gegenzug erlaubte ich ihm, weiter von seinem Grab zu fachsimpeln. Gemeinsam verbrachten wir eine harmonische Stunde, bevor die jungen Leute mit der guten Nachricht zurückkehrten, daß Abdullahs Genesung – wie ich gehofft hatte – Fortschritte machte.
»Ich vermute, daß Daoud Abdullah von Kopf bis Fuß mit seiner entsetzlichen grünen Heilsalbe eingeschmiert hat«, sagte ich.
Nefret kicherte. »Woher weißt du das nur, Tante Amelia? Daoud hat uns extra gebeten, dir nichts von der Salbe zu erzählen. Jetzt wird er glauben, du könntest aus der Ferne seine Gedanken lesen.«
»Er bezichtigt mich schlimmerer Begabungen als dieser, mein Liebes«, sagte ich lächelnd. »Ich hoffe nur, daß dieses entsetzliche Zeug Abdullah nichts anhaben kann, solange er es nicht ißt. Jetzt beeilt ihr euch aber besser und zieht euch um. Cyrus schickt uns seine Kutsche.«
»Ich hatte den Eindruck …«, begann Ramses. »Keine Angst, du mußt dich nicht in einen Anzug zwängen«, sagte ich. »Wasch dich nur, du bist staubig und erhitzt. Wir essen in Cyrus’ Haus, weil er noch einen weiteren Gast eingeladen hat.«
Ramses hob seine Augenbrauen. »Ah«, sagte er und ging ins Haus.
»Ich frage mich, was er damit meinte«, sagte ich zu Emerson.
»Mittlerweile solltest du doch in der Lage sein, Ramses’ rätselhafte Bemerkungen zu interpretieren«, erwiderte mein Ehemann. »Er vermutet, wer der andere Gast ist. Genau wie ich.«
Emersons Andeutungen hatten mich vorbereitet. Die Tatsache, daß uns Cyrus nicht an der Tür empfing, wie es sonst seine Gewohnheit war, war ein weiterer Hinweis. Als wir den Salon betraten, trafen wir ihn – wie hätte es anders sein können – in angeregter Unterhaltung mit Mrs. Jones an.
Cyrus’ herzliche Begrüßung kompensierte jegliche zuvor begangene Verletzung der Gastfreundschaft. Er drängte uns, uns zu setzen und eine Erfrischung anzunehmen. Alles war sehr angenehm und konventionell, aber da ich niemals ein Anhänger von Verzögerungstaktiken gewesen bin, begann ich das Gespräch, sobald wir uns mit unseren Gläsern in Cyrus’ bequemen Sesseln niedergelassen hatten.
»Mrs. Jones, vielleicht können Sie mir sagen, wie die Frasers jetzt zurechtkommen? Ich hatte gehofft, von Enid heute etwas zu hören, erhielt aber keine Nachricht.«
»Das liegt darin, daß sie mich zu ihrem Botschafter bestimmt hat«, war die Antwort. Die Dame griff in ihre Handtasche und entnahm ihr einen Umschlag, den sie mir überreichte.
Er war nicht an mich, sondern an uns alle einschließlich »Miss Forth« und »Mr. Todros« adressiert, deshalb las ich ihn laut vor.
Meine liebsten Freunde, ich glaube, daß der Heilungsprozeß eingesetzt hat. Er hat immer noch große Ehrfurcht vor »Prinzessin Tasherit«, aber ich nehme an, daß sich keine Frau darüber beschweren sollte, wenn sie angebetet wird! Ich habe mir Ihre Worte zu Herzen genommen, meine liebe Amelia, und ich hoffe – ich glaube –, daß wir unserer gemeinsamen Zukunft positiv entgegensehen können.
Wir werden Kairo morgen früh verlassen und nach England zurückkehren. Ich hielt es für das beste, Sie nicht wiederzusehen, da der Abschied schmerzvoller wä re, als ich ertragen könnte. Seien Sie versichert, daß es von Herzen kommt, wenn ich Sie als meine »Liebsten« bezeichne. Was Sie an diesem kritischen Punkt
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