Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
dabeihaben. Ich glaube nicht, daß das Stelldichein heute abend stattfinden sollte. Bellingham hat nur das Gebiet ausgekundschaftet. Scudder hat es gar nicht nötig, uns zu der Vorstellung hinzuzubitten. Er wird erwarten, daß wir ohnehin morgen am Grab sind. Wie jeden Tag.«
»Dann wird er warten, bis wir dort sind«, sagte Emerson und tat so, als gähnte er. »Wir können ebenso versuchen, noch etwas schlafen, bis die restliche Nacht …«
»Er wird warten. Aber Bellingham?«
Bevor Emerson antworten konnte, hörten wir Nefrets Stimme.
»Da kommt jemand. Beeilt euch!«
Auch sie hatte nicht geschlafen. Wir erreichten die Veranda gerade noch rechtzeitig, um die Jungen absitzen zu sehen. »Was macht ihr denn schon so früh hier?« fragte Emerson. »Es ist nicht einmal …«
»In einer Stunde geht die Sonne auf«, unterbrach ihn Ramses. »Und ich befürchte, es ist bereits zu spät.« Der Mond ging bereits unter, aber das Licht war immer noch hell genug für mich, um seinen ängstlich verzerrten Gesichtsausdruck zu bemerken. Impulsiv schoß ich nach vorn, doch Emerson hielt mich mit eisernem Griff zurück.
»Wenn es bereits zu spät ist, machen fünf Minuten mehr auch nichts mehr aus«, sagte er ruhig. »Erzähl uns alles, Ramses.«
»Colonel Bellingham ist heute abend nicht zur Valley of the Kings zurückgekehrt«, sagte Ramses. Er holte tief Atem und fuhr fort. »Mrs. Jones war diejenige, die uns ein Zeichen gegeben hat. Ich glaube, sie schwenkte ein Stück Stoff. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber ihre Gestalt an Deck um diese Uhrzeit und die Art, wie sie unablässig ihre Arme schwenkte, waren genug Grund zur Besorgnis. Der Colonel hatte ihr erzählt, daß er nicht am Abendessen teilnehmen würde, deshalb machte sie sich erst Sorgen, als sie vor einer Stunde aufwachte und bemerkte, daß er nicht zurückgekehrt war. Ist das als Erklärung ausreichend für dich, Vater? Wir müssen sofort los. Einige Jäger halten das Mondlicht für hell genug. Oder das erste Licht der Morgendämmerung.«
Wir nahmen den Pfad über den gebel. Auch die Pferde wären in der Dunkelheit und auf der unebenen Oberfläche des Tals nicht schneller gewesen. Der Mond war untergegangen, und die ersten Sonnenstrahlen schimmerten noch blaß am Himmel, als wir den steilen Abstieg begannen. Das Glühen eines Feuers begrüßte uns von unten; die gaffirs, die das Tal bewachten, hatten sich darum versammelt und kochten ihren Morgenkaffee. Sie begrüßten uns freundlich, aber nicht überrascht. Nichts von dem, was Emerson tat, konnte sie überraschen. Als er sie darauf ansprach, ob sie irgendwelche Fremden gesehen hätten, sahen sie sich an und zuckten die Schultern.
»Wir haben geschlafen, Vater der Flüche. Auf dem gebel waren Jäger, aber es ist niemand hier entlanggekommen.«
Wir eilten weiter. Ramses und Emerson liefen uns anderen voraus. Als wir sie einholten, standen sie bereits am Eingang der Grabstätte. Sie starrten auf etwas, das am Boden lag.
Ramses hob es auf – ein großer Spazierstock mit einem goldenen Knauf. Er griff nach beiden Enden des Stocks, drehte und zog ihn auseinander. Stahl glitzerte im blassen Morgenlicht.
»Ein Stockdegen«, sagte ich. »Wir hätten es wissen müssen, nicht wahr? Er war hier. Wie ist es ihm gelungen, unbemerkt hierherzukommen?«
Ramses gestikulierte. »Der Ziegenpfad. Wir haben ihm demonstriert, wie! Das Seil ist vermutlich immer noch dort. Er war vor Anbruch der Dämmerung hier und hat gewartet. Vielleicht ist er nicht tot. Noch nicht …«
Dann rannte er los und hastete mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die Stufen ins Grab hinunter.
»Bleibt hier«, sagte Emerson kurz und folgte ihm. Er konnte nicht wirklich geglaubt haben, daß wir das taten. Es gab keine andere Möglichkeit, wo die beiden von uns gesuchten Männer sich hätten aufhalten können. Auch ich hatte die Verwehungen des feinen Sandstaubs auf den Treppenstufen bemerkt, als wäre etwas Großes und Schweres dort hinuntergeschleppt worden.
Als ich den stickigen, dunklen Durchgang erreichte, war ich froh, als ich sah, daß Emerson immerhin soviel gesunden Menschenverstand besessen und sich die Zeit genommen hatte, eine Kerze anzuzünden. Wie ein ewiges Licht flackerte sie nach allen Seiten. Ich stolperte über das Rohr und fiel nach vorne gegen Emerson.
»Zur Hölle mit dir, Peabody«, bemerkte er.
»Tu dir keinen Zwang an«, keuchte ich. »Wo ist Ramses?«
»Das Licht holen.« Das war die Stimme meines Sohnes. Ich konnte
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