Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
ich an den Fensterläden rüttelte, die ich gegen die gleißende Nachmittagssonne geschlossen hatte.
Diese vorübergehende Verwirrung hatte ich rasch überwunden und trat in den Hof, wo ich wie angewurzelt stehenblieb. Der sich mir bietende Anblick war grauenvoll: Ramses und David standen sich barfuß, nur mit Hemd und Hose bekleidet, gegenüber und bekämpften sich wütend mit langen, von den Tuareg verwendeten Messern. Fassungslos vor Entsetzen blieb ich stehen und sah, wie sich Ramses’ Messer in Davids Brustkorb bohrte.
Meine Benommenheit wich. Ich kreischte auf.
»Guten Tag, Mutter«, sagte Ramses. »Tut mir leid, wenn wir dich geweckt haben. Verflucht, David, du hast absichtlich nachgegeben. Noch mal.«
David strich über seinen Brustkorb. »Habe ich nicht, Ehrenwort. Guten Tag, Tante Amelia. Tut mir leid, wenn wir …«
»Oh, gütiger Himmel!« entfuhr es mir. Erhobenen Hauptes strahlte er mich an, und nicht ein einziger Blutstropfen sickerte durch den weißen Hemdstoff. Wie Zuschauer während einer Vorstellung saßen Nefret und Emerson auf einer Bank an der Hauswand nebeneinander.
»Hallo, Peabody«, sagte Emerson. »Also, Jungs, laßt mich mal.«
Er sprang auf und zerrte an seinem Oberhemd. Ein Knopf sprang ab und fiel zu Boden. Emersons überstürzte Methode, sich seiner Kleidung zu entledigen, macht es erforderlich, daß ich einen Großteil meiner Zeit mit dem Annähen von Knöpfen verbringe.
Nähe ich sie zu fest an, reißt statt dessen der Stoff, und das Hemd ist ruiniert.
»Bitte, Emerson«, sagte ich deshalb automatisch. »Nicht noch ein Hemd. Was zum Teufel geht hier vor?«
Jetzt sah ich, daß Klinge und Spitze der Messer mit Lederstreifen umwickelt waren. Emerson rief fröhlich: »Ramses suchte eine gewisse Kampfpraktik im Umgang mit der linken Hand. Das ist doch eine nützliche Übung, findest du nicht, Peabody?«
»Sicher«, sagte ich.
Emerson zog sein Hemd vollständig aus, opferte während dieses Vorgangs noch ein bis zwei weitere Knöpfe und schleuderte es auf die Bank. »Gib mir dein Messer, Ramses.«
»Nimm Davids«, sagte mein Sohn. Schweißtropfen rannen ihm über Gesicht und Hals. Er hatte sich der Armschlinge entledigt, und ich stellte fest, daß sein Handverband eine merkwürdig grüne Färbung angenommen hatte. »Nicht einmal mich greift er so entschieden an, wie er sollte; seine Ehrfurcht vor dir würde ihn zur Salzsäule erstarren lassen.«
»Aber dich nicht, he?« Emerson grinste. »In Ordnung! Du bist dran, mein Junge!«
Aus Davids Hand nahm er das Messer in Empfang, stellte sich mit angewinkelten Knien breitbeinig hin und streckte seine Arme aus.
Ich schlenderte zur Bank und setzte mich neben Nefret. »Diese Lederstreifen … Was wäre, wenn sie sich lösten?«
»Ich habe sie selbst um die Messer gewickelt«, erwiderte Nefret mit einem leichten Stirnrunzeln. »Ramses war begeistert von der Idee, deshalb … Sie sehen großartig aus, nicht wahr?«
Vermutlich taten sie das. Emersons durchtrainierte Muskulatur vibrierte unter seiner gebräunten Haut, während er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Ramses war ihm größen-, vielleicht sogar gewichtsmäßig ebenbürtig; sein Atem ging ziemlich rasch, doch er bewegte sich ebenso leichtfüßig wie sein Vater. Langsam umrundeten sie sich. Ramses griff als erster an; sein Messer war auf Emersons Rippenbogen gerichtet. Emerson sprang zur Seite und wehrte Ramses’ Arm ab. Ramses wich zurück, streckte den anderen Arm aus, um sein Gleichgewicht halten zu können, woraufhin sein Vater seine ungeschützte Brust touchierte. Es war kein fester Stoß, dennoch ließ Ramses sein Messer fallen, sackte in sich zusammen und hielt sich die Seite.
»Oh, verflucht«, sagte Emerson und eilte zu ihm. »Vergib mir, mein Junge. Komm und setz dich.« Ramses entzog sich der fürsorglichen Umarmung seines Vaters und richtete sich auf. Die umwickelte Spitze von Emersons Messer hatte den Saum seines Hemdes erwischt und es auseinandergerissen. Der Bluterguß oberhalb seines Rippenbogens hatte die Größe und Farbe eines angelaufenen Silberuntertellers. »Ist schon in Ordnung, Vater. Sollen wir es erneut versuchen?«
Emerson hub an: »Ich will keinen Vorteil …« »Der Sinn dieser Übung«, sagte Ramses außer Atem, »besteht darin, mit einem Gegner fertig zu werden, der jeden sich bietenden Vorteil mit Freuden ausnutzt. Ich wage zu behaupten, daß ich in dieser Hinsicht über mehr Erfahrung verfüge als du, Vater. Mach dir
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