Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
später.« Er bedeckte seine Augen mit einer Hand. »Was ich im Eifer des Gefechts gesagt habe, tut mir leid. Das werde ich auch dem Jungen erklären, da ich nicht glaube, daß er irgend etwas Unehrenhaftes getan hat. Aber eine Eheschließung …«
Ramses war David zur Tür gefolgt und hatte sie hinter ihm geschlossen. Die Hände in seinen Hosentaschen vergraben, lehnte er an der Wand und sagte: »Er ist Ägypter. Ein Einheimischer. Das ist es, nicht wahr?«
Walter antwortete nicht. Ramses sah nicht ihn an, sondern mich.
»Sicherlich nicht«, sagte ich. »Du kennst meinen Standpunkt zu diesem Thema, Ramses, und es betrübt mich, daß du mich solcher Vorurteile für fähig hältst.«
»Welche Bedenken hast du denn dann?« wollte mein Sohn wissen.
»Nun … hinsichtlich seiner Familie. Sein Vater war ein Trunkenbold und seine Mutter –«
»War Abdullahs Tochter. Hast du irgend etwas gegen Abdullah? Oder Daoud? Oder Selim?«
»Hör auf, Ramses«, wies ihn Emerson zurecht. »Ich werde nicht zulassen, daß du im Umgang mit deiner Mutter einen solch unverschämten Tonfall anschlägst.«
»Verzeihung, Mutter«, sagte Ramses ohne jede Reue.
»Diese Sache ist einfach zu ernst, als daß man sie im Verlauf eines einzigen Abends mit gegenseitigen Schuldzuweisungen klären könnte«, fuhr Emerson fort. »Wenn du darauf bestehst, Walter, könnt ihr morgen abend abreisen, aber ich werde mir verflucht noch mal keine weitere Nacht um die Ohren schlagen, um euch nach Luxor zu begleiten, damit ihr den Morgenzug noch erreicht. Nein, Nefret, auch von dir will ich nichts mehr hören. Nicht heute abend.«
»Ich wollte doch nur fragen«, sagte Nefret kleinlaut, »was du darüber denkst, Professor.«
»Ich?« Emerson klopfte die Asche aus seiner Pfeife und erhob sich. »Gütiger Himmel, wen interessiert schon meine Meinung! Nun, um ehrlich zu sein, verstehe ich die ganze Aufregung nicht. David ist ein begabter, intelligenter, ehrgeiziger junger Mann. Und Lia ein hübsches, verzogenes, reizendes kleines Geschöpf. Natürlich müssen sie warten, aber wenn sie sich auch noch in drei oder vier Jahren einig wären, könnte es sie schlimmer treffen. Und jetzt ab ins Bett mit euch allen.«
Nefret lief zu ihm und umschlang ihn mit ihren Armen.
»Hmhm«, sagte Emerson mit einem zärtlichen Grinsen. »Ins Bett, junge Dame.«
Schweigend trennten wir uns. Walter wirkte ziemlich beschämt. Er war ein freundlicher, netter Mann, und ich konnte sehen, daß er sein Verhalten bedauerte, nahm aber nicht an, daß er seine Meinung ändern würde. Es war eine unangenehme Entwicklung.
Walter hatte David nicht nur als einen begabten Schüler, sondern als seinen angenommenen Sohn betrachtet. Diese Enthüllung mußte ihre Beziehung für immer verändern. Für Evelyn, die David in ihr Herz geschlossen hatte, war es sogar noch schwieriger.
Als sie mir einen Gutenachtkuß gab, brach mir ihre Traurigkeit fast das Herz. Dann schloß sie sich Walter an. Er legte tröstend einen Arm um ihre Schultern und führte sie aus dem Zimmer. Nefret ergriff Ramses’ Hand. »Komm mit zu David«, sagte sie und verschwand mit ihm. Keiner der beiden würdigte mich noch eines Blickes.
»Peabody«, wandte sich mein Gatte an mich. »Noch so ein verfluchtes junges Liebespaar, was?«
Ich glaube, daß Humor verfahrene Situationen entspannen kann, aber dieser Scherz brachte mich keineswegs zum Lachen. »Sie werden darüber hinwegkommen, Emerson. ›Herzen können nicht brechen, sie schmerzen und stechen …‹ Den Rest habe ich vergessen.«
»Gott sei Dank«, sagte mein Ehemann andächtig. Während ich durch den Salon ging, um das Licht auszulöschen, beobachtete er mich. »Weißt du, jetzt liegt alles an dir.«
»Wie meinst du das?«
»Evelyn vertraut deinem Urteil, und Walter gehorcht dir aufs Wort, genau wie wir anderen. Wenn du die jungen Leute unterstütztest …«
»Unmöglich, Emerson.«
»Tatsächlich? Amelia, ich frage mich, ob dir selbst überhaupt klar ist, warum du so unnachgiebig bist.«
Es brannte nur noch eine Lampe im Zimmer. Schatten huschten entlang der Wände. Ich ging zu Emerson. Er zog mich in seine Arme, und ich legte meinen schmerzenden Kopf an seine Schulter. Es war eine unangenehme Szene gewesen.
»Früher oder später wirst du zur Vernunft kommen, mein Schatz«, sagte Emerson zärtlich. »Diesmal kann ich dir nicht helfen. Zum Teufel, das hatte mir gerade noch gefehlt! Das Leben ist auch so schon schwierig genug mit einem geistesgestörten
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