Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
von Ramses’ aufgeblasenen Vorträgen. Sir Edward war sich dessen bewußt; mit einem schiefen Lächeln und etwas zwangloser fügte er hinzu: »Bislang war ich doch kaum von Nutzen, Mrs. Emerson. Das ist ein ebenso rätselhafter wie frustrierender Fall. Hat der Professor schon irgendeine Vorstellung, was er morgen unternehmen will?«
»Wie ich den Professor kenne, wird er morgen wieder ins Tal aufbrechen. Er hat zwei volle Arbeitstage verloren und wird erpicht sein herauszufinden, was Davis macht.«
Sir Edward lachte. »Natürlich. Heute abend wird man mir Bericht erstatten, Mrs. Emerson. Heute abend speise ich nämlich mit Mr. Paul, dem Fotografen aus Kairo. Ich glaube, daß er den ganzen Tag in dem Grab gearbeitet hat.«
»Tatsächlich? Ja, ich glaube, jemand hat davon gesprochen, daß er heute eintreffen sollte. Kennen Sie ihn?«
»Wir haben gemeinsame Freunde – und natürlich ein gemeinsames Interesse, die archäologische Fotografie.«
Als wir das Ufer erreichten, wünschte uns Sir Edward eine gute Nacht und schritt dann die Straße hinunter zum Winter Palace, dessen hell erleuchtete Fenster wie die der fürstlichen Residenz in der Dunkelheit erstrahlten, nach der dieses Hotel benannt war. Er pfiff vor sich hin, und seine beschleunigten Schritte deuteten an, daß er sich auf den Abend freute. Berufskollegen haben sich immer eine Menge zu erzählen.
Mich beschlich beinahe das Gefühl, meinen einzigen Mitstreiter – oder zumindest die einzig neutrale Partei – verloren zu haben. Immer wieder versicherte ich mir, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben, wie ich das stets tue, und daß ich mir nichts vorzuwerfen hatte. Ich hatte erwogen, in Luxor zu Abend zu essen, doch die Szene am Bahnhof hatte mich davon überzeugt, daß keinem von uns der Sinn danach stand.
Nur im Beisein von guten Freunden ist es angenehm zu schweigen. Ich hatte die Gegenwart von Abdullah nie als unangenehm empfunden, doch an diesem Abend suchte ich fieberhaft nach Gesprächsthemen. Abdullah wirkte ebenfalls sehr nachdenklich. Der helle Mondschein verströmte sein silbriges Licht über dem Wasser, und er sprach erst, als wir uns dem Westufer näherten.
»Ich suche eine Frau für David.«
»Was?« entfuhr es mir. »Er ist noch sehr jung, Abdullah.«
»In seinem Alter hatte ich bereits zwei Frauen und vier Kinder. Mustafa Karim hat eine junge, gesunde und absolut brauchbare Tochter.« In traurigem Tonfall fügte Abdullah hinzu: »Sie kann sogar lesen und schreiben.«
»Hast du es David gegenüber schon erwähnt?« fragte ich.
»Erwähnt? Nein, Sitt. In früheren Tagen hätte ich das nicht ›erwähnt‹, sondern ihm geschildert, was ich für ihn in die Wege geleitet hatte. Heute, so nehme ich an, will er sie vermutlich erst noch kennenlernen.«
Abdullah seufzte. Voller Mitgefühl tätschelte ich seine Hand. Der arme Abdullah. Er rechnete zwar mit Widerspruch von David, ich jedoch befürchtete, daß er die Problematik erheblich unterschätzte.
Ich zweifelte nicht daran, daß Abdullah von David und Lia wußte. Seltsam; es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, daß er gegen diese Verbindung sein könnte. Ein aberwitziges Gefühl der Verärgerung keimte in mir auf.
Selim wartete bei den Pferden auf uns, und nach diesem Wachwechsel – denn das stellte er dar – setzten Abdullah und Daoud ihren Weg zu Fuß nach Gurneh fort. Selim behauptete, er habe schon gegessen, und wollte sich deshalb nicht zu uns an den Tisch gesellen. Er schlenderte in die Küche, um mit Fatima zu plaudern.
»Er will heute nacht hierbleiben«, sagte Ramses. »Ich habe ihm versichert, daß das nicht notwendig ist, aber er hat darauf bestanden.«
»Das sind gute Freunde und ehrbare Männer«, sagte Nefret mit einem Blick zu David, der nicht reagierte. Er war so todunglücklich, daß er nicht einmal aß.
»Ja«, sagte Emerson. »Das ist sehr gefällig von Selim. Insbesondere da er zwei junge, hübsche … äh, hmhm.«
Emersons naive Äußerung durchbrach die eisige Stimmung, die zwischen den Kindern und uns entstanden war. Nefret fing an zu lachen. »Das muß Selim ganz schön auf Trab halten.«
»Er hat sich noch nicht darüber beklagt«, bemerkte Ramses. Nefret lachte erneut. Zweifellos überaus unschicklich, aber es war so herzerfrischend, sie wieder fröhlich zu sehen, daß ich diese kleinen Indiskretionen überhörte.
»Trotzdem kann ich die Polygamie nicht nachvollziehen«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich würde den von mir geliebten
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