Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
seine Schwiegertochter Fatima. Mit verschleiertem Gesicht und gesenktem Kopf hielt sie sich sittsam im Hintergrund. Fatima war die Witwe von Abdullahs Sohn Feisal, der im Jahr zuvor verschieden war. Genauer gesagt, eine seiner Witwen. Die jüngere seiner beiden Ehefrauen, welche ihm drei Kinder geboren hatte, war widerspruchslos in den Haushalt des ihr von Abdullah ausgesuchten Mannes übergewechselt – so wollten es ihre Sitten und Gebräuche. Demzufolge war ich erstaunt, als Fatima ausgerechnet mich um Hilfe bat. Sie und ihr Ehemann hatten sich wirklich geliebt; die zweite Ehe war er nur auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin eingegangen, weil sie ihm keine Kinder schenken konnte. Sie wollte nicht wieder heiraten. Sie würde bis an den Rand der Erschöpfung Tag und Nacht arbeiten, ganz egal, welche Stellung ich ihr anbot, solange sie nur unabhängig bleiben konnte.
Der werte Leser hat sicherlich kaum Zweifel an der Art meiner Reaktion. Bei einer Ägypterin die winzige Flamme der Rebellion vorzufinden, den Drang nach Freiheit - ja, und eine von Verständnis und Liebe geprägte Ehe, wie sie sich jede Frau nur wünschen könnte –, brachte mein Blut in Wallung. Aus reiner Höflichkeit beriet ich mich mit Abdullah und war erfreut, daß er dem von mir vorgeschlagenen Plan zustimmte, wenn er auch nicht gerade vor Begeisterung sprühte.
»Was war schon anderes zu erwarten?« war seine rhetorische Frage. »Ich weiß nicht, wohin das noch führen wird, wenn die Frauen lesen und schreiben lernen und die jungen Männer, statt zu arbeiten, die Schulbank drücken. Ich bin froh, daß ich das nicht mehr erleben muß. Verfahre nach deinem Gutdünken, Sitt Hakim, so wie du das immer tust.«
Dann schlenderte er kopfschüttelnd fort und murmelte irgend etwas von der guten alten Zeit. Männer murren ständig, um vor den Frauen den Eindruck zu erwecken, daß sie nur widerwillig nachgeben, dennoch wußte ich nur zu gut, daß Abdullah froh war, von unserer Haushaltsführung erlöst zu sein. Er erledigte nichts, wie ich es ihm aufgetragen hatte, und er war immer eingeschnappt, wenn ich ihm nicht genügend Beachtung schenkte. Solche Zwischenfälle waren für uns beide stets sehr nervenaufreibend. Der Sitte entsprechend hielt sich Fatima im Hintergrund, bis wir Rais Hassan und die anderen Besatzungsmitglieder begrüßt hatten. Dann schickte ich die Männer an die Arbeit, so daß Fatima ihren Schleier ablegen konnte.
Sie war kleiner als ich und besaß die anmutige Haltung der ägyptischen Frauen, die es gewohnt sind, schwere Lasten auf ihren Köpfen zu balancieren. Ich schätzte sie auf Mitte Vierzig, obwohl sie älter aussah. Das Gesicht, das sie nun vor mir enthüllte, strahlte so vor Glück und Freundlichkeit, daß ihre verhärmten Züge beinahe entspannt wirkten.
»Nun, alles in Ordnung?« wollte ich wissen. »Ja, Sitt Hakim. Alles in bester Ordnung.« Sie sprach englisch, und aufgrund meines erstaunten Gesichtsausdrucks strahlte sie noch mehr. »Ich studieren, Sitt, jeden Tag studieren, und ich waschen alles. Kommt und seht, du und Nur Misur.«
»Licht von Ägypten«, so lautete Nefrets ägyptischer Name. Da sie wußte, wie anstrengend es ist, eine längere Unterhaltung in einer fremden Sprache zu führen, sagte sie auf arabisch: »Fatima, kannst du hin und wieder arabisch mit mir sprechen? Ich benötige diese Praxis sicherlich dringender als du in der englischen Sprache. Wie intensiv du doch studiert hast!«
Sie hatte nicht ausschließlich studiert. Jeder Gegenstand an Bord, der schimmern oder glänzen konnte, tat es auch. Die Vorhänge waren so häufig gewaschen worden, daß sie fast zerschlissen waren. Sie hatte getrocknete Rosenblüten zwischen die Laken gelegt (ich sah schon mit Freuden Emersons diesbezüglichem Kommentar entgegen). Überall standen Vasen mit frischen Blumen, und in jedem Schlafzimmer schwammen Rosenknospen auf den Verdunsterschalen. Über mein Lob erfreut, leuchteten Fatimas Augen, doch als sie uns in den Salon führte, flüsterte Nefret aus einem Mundwinkel heraus: »Wir alle werden wie ein Bordell riechen, Tante Amelia.« »Dieser Begriff sollte deinem Wortschatz nicht geläufig sein«, erwiderte ich ebenso leise.
»Mir sind noch wesentlich unanständigere geläufig.« Auf einmal schlang sie spontan ihre Arme um Fatima, die stehengeblieben war, um ihren Schleier wieder anzulegen, und umarmte sie herzlich.
Als wir den Salon betraten, drang ein leises, aufgebrachtes Zischen durch Fatimas Schleier. In
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