Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
weniger als einer Viertelstunde hatten die Männer für völlige Unordnung im Raum gesorgt. Die Jungen rauchten Zigaretten und ließen die Asche auf den Boden fallen. Emerson hatte seine Unterlagen und Bücher auf dem Tisch verteilt; und eine Vase (die vermutlich zunächst dieses Möbelstück geziert hatte) war auf den Boden gestellt worden, wo sie umgefallen war. Der Orientteppich troff vor Nässe. Emerson hatte seinen Mantel nachlässig über eine Stuhllehne geworfen. Ramses’ Mantel lag auf dem Boden. Fatima schoß vor und schob trotz der versammelten männlichen Ellbogen Aschenbecher auf den Tisch. Sie hob die verstreuten Blumen auf, stellte sie zurück in die Vase, sammelte die achtlos hingeworfenen Kleidungsstücke ein und schlenderte zurück zur Tür.
»Oh, äh, hmm«, sagte Emerson, während er den kleinen schwarzen Wirbelwind argwöhnisch beobachtete. »Danke, Fatima. Sehr schön gemacht. Hervorragende Arbeit. Hier sieht es wirklich … Was hat sie denn, Peabody?«
Emersons Reaktion hinsichtlich der Rosenblüten entsprach nicht exakt der von mir erwarteten. Er besitzt ein außerordentlich schwärmerisches Naturell, allerdings wissen das außer mir nur sehr wenige.
3. Kapitel
Aus Manuskript H
»Du siehst absolut scheußlich aus«, sagte Nefret bewundernd.
»Vielen Dank.« Ramses klebte ein weiteres Furunkel auf seinem Hals auf.
»Trotzdem verstehe ich nicht, warum ihr mich nicht mitnehmen wollt.«
Ramses wandte sich vom Spiegel ab und setzte sich auf einen Hocker, um seine Schuhe überzustreifen. Genau wie seine Galabija waren auch sie teure Handarbeit, allerdings ziemlich abgenutzt und schmutzig – die Kleidung eines Mannes, der sich das Beste leisten kann, dessen persönliches Erscheinungsbild allerdings einiges zu wünschen übrigläßt. Er stand auf und schnallte den Gürtel um, in dem ein riesiges Messer steckte. »Bist du fertig, David?«
»Fast.« David war ebenfalls schmuddelig, jedoch nicht mit Hautproblemen geschlagen. Ein beeindruckender schwarzer Vollbart verlieh ihm die Ausstrahlung eines Freibeuters. »Das ist ungerecht«, maulte Nefret.
Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett in Ramses’ Zimmer und streichelte die Katze, deren massiger Körper ihren Schoß ausfüllte.
Besagte Katze mit Namen Horus war das einzige Exemplar, das sie in dieser Saison mitgebracht hatten. Anubis, der Patriarch ihrer ägyptischen Katzenfamilie, wurde alt, und keiner der anderen hatte eine Beziehung zu einem bestimmten Familienmitglied aufgebaut. Horus gehörte Nefret, beziehungsweise – wie sein Verhalten deutlich machte – Nefret gehörte ihm. Ramses verdächtigte Horus, Nefret die gleichen Gefühle entgegenzubringen wie seinem umfangreichen Katzenharem; wenn er anderes im Schilde führte, verließ er sie so unbekümmert wie ein Don Juan; in seiner Gegenwart jedoch durfte ihr kein anderes männliches Wesen zu nahe kommen – einschließlich Ramses und David. Horus war die einzige Ramses’ bekannte Katze, die er absolut nicht ausstehen konnte.
Nefret beschuldigte ihn, eifersüchtig zu sein. Das stimmte – aber nicht, weil Horus ihre Gegenwart bevorzugte. Seit dem Tod seiner geliebten Bastet verspürte er nicht den Wunsch nach einer neuen Katze. Bastet war nicht zu ersetzen; es gab keine zweite wie sie. Der Grund für seine Eifersucht auf Horus ließ sich viel einfacher erklären. Horus genoß Vorzüge, für die er mit Freuden seine Seele verkauft hätte, doch der pelzige Egomane besaß nicht einmal den Anstand, sie zu würdigen. Jahrelange schmerzvolle Erfahrung hatte Ramses gelehrt, Nefrets herausfordernde Kommentare am besten zu ignorieren, dennoch gelang es ihr hin und wieder, einen empfindlichen Nerv bei ihm zu treffen, und Horus’ blasierter Gesichtsausdruck trug nicht unbedingt zur Verbesserung seines seelischen Gleichgewichts bei. »Du bist diejenige, die ungerecht ist«, fuhr er sie an. »Ich habe es versucht, Nefret – das mußt du mir wirklich zugestehen. Du kennst doch das Resultat.«
An einem Abend im vergangenen Winter hatte er zwei Stunden damit zugebracht, ihr das glaubwürdige Aussehen eines Ägypters zu verleihen. Bart, Furunkel, Gesichtsschminke, ein sorgfältig eingeübtes Schielen – doch je mehr er unternahm, um so absurder wirkte sie. Von Lachkrämpfen geschüttelt, war David schließlich auf dem Bett zusammengesackt. Während sich Ramses bemühte, ernst zu bleiben, hatte sich Nefret im Spiegel begutachtet und war in haltloses Kichern ausgebrochen. Schließlich hatten sie
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