Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
historische Dokumente an bornierte Sammler, die sie zu Hause einschließen und vergessen. Wie kann der Handel unterbunden werden, wenn selbst die Antikenverwaltung von solchen Subjekten kauft?«
Das kleine Boot trieb langsam auf das sandige Ufer zu. Die Ruder einziehend, fuhr Ramses fort: »Im vorliegenden Fall sehe ich keinen anderen Ausweg aus dieser Geschichte, die meine Mutter als moralisches Dilemma bezeichnen würde. Ich will diesen verfluchten Papyrus haben, und ich will wissen, wie Yussuf Mahmud in seinen Besitz gelangt ist. Wieviel Geld hast du?«
»Ich – äh – bin etwas knapp bei Kasse«, gab David zu.
»Ich auch. Wie üblich.«
»Was ist mit dem Professor?«
Ramses zuckte unschlüssig die Schultern. »Es hat keinen Sinn, ihn um das Geld zu bitten, er würde es mir nicht geben. Statt dessen würde er mir einen väterlichen Vortrag halten. Und das kann ich einfach nicht ertragen.«
»Dann wirst du Nefret fragen müssen.«
»Das werde ich verflucht nicht tun.«
»Das ist doch albern«, sagte David. »Sie besitzt so viel Geld, daß sie nicht weiß, was sie damit anstellen soll, und sie gibt gern etwas ab. Wäre sie keine Frau, dann würdest du nicht eine Sekunde lang zögern.«
»Das ist es nicht«, log Ramses, wohlwissend, daß David ihn entlarvte. »Dann müßten wir ihr erklären, wofür wir das Geld brauchen, und dann würde sie morgen nacht mitkommen wollen.«
»Na und?«
»Nefret nach el Was’a mitnehmen? Hast du den Verstand verloren? Das kommt unter gar keinen Umständen in Frage.«
Aus Briefsammlung B
Es wird dich sicherlich nicht überraschen zu hören, daß ich verflucht viel Zeit brauchte, um Ramses davon zu überzeugen, mich mitzunehmen. Die Methoden, die ich bei dem Professor anwende – bebende Lippen, tränenfeuchte Augen –, üben nicht die geringste Wirkung auf dieses kaltblütige Wesen aus; er stapft dann einfach angewidert aus dem Zimmer. Deshalb war ich gezwungen, auf Erpressung und Einschüchterung zurückzugreifen, die unwiderlegbare weibliche Logik und den sanften Hinweis, daß sie ohne meine Unterschrift kein Geld bekämen. (Sicherlich auch eine Form der Erpressung, nicht wahr? Wie entsetzlich!) Wenn ich das einmal so sagen darf, ich gab einen wirklich hübschen Jungen ab! Noch am gleichen Nachmittag kauften wir, nachdem wir auf der Bank gewesen waren, meine Garderobe – eine elegante Galabija aus blaßblauem Wollstoff, Slipper mit Goldstickereien und einen langen Schal, der mein Haar und mein Gesicht bedecken sollte. Ramses färbte meine Augenbrauen und meine Wimpern und umrahmte meine Augenlider mit Kajal. Ich hatte den Eindruck, daß das mein Erscheinungsbild erstaunlich veränderte, doch Ramses gab sich keineswegs zufrieden. »Ich sehe keine Möglichkeit, diese Augenfarbe zu verändern«, brummte er. »Halte deinen Kopf und deinen Blick gesenkt, Nefret. Wenn du Mahmud direkt ansiehst oder auch nur einen einzigen Ton von dir gibst, während wir bei ihm sind, dann werde ich … dann werde ich etwas tun, das wir beide später bereuen könnten.« Eine faszinierende Drohung, nicht wahr? Nur um zu sehen, was er damit gemeint hatte, war ich versucht, ihm zu trotzen, entschied dann aber, kein Risiko einzugehen.
Diesen Teil der Altstadt hatte ich nachts noch nie betreten. Ich kann dir nicht empfehlen, dich dorthin zu wagen, mein Schatz; du wärest entsetzt von dem widerlichen Müllgestank, den vorbeihuschenden Ratten und der undurchdringlichen Finsternis. Die Dunkelheit in den ländlichen Gegenden ist nichts dagegen; Oberägypten ist immer vom Sternenlicht erhellt, selbst wenn kein Mond sichtbar wird. Nicht einmal etwas so Reines und Klares wie ein Stern wagte es, sich dort zu zeigen. Die riesigen alten Häuser schienen sich aneinanderzuschmiegen und dunkle Geheimnisse auszuströmen, und ihre Balkone zeichneten sich gegen den bewölkten Nachthimmel ab. Mein Herz pochte heftiger als sonst, dennoch hatte ich keine Angst. Ich empfinde nie Furcht, wenn wir drei zusammen sind. Diese unerklärliche Panik befällt mich nur, wenn sich die beiden ohne mich in eines ihrer hirnverbrannten Abenteuer stürzen.
Ramses wies uns den Weg. Er kennt die Altstadt wie seine Westentasche, einschließlich der Gegenden, die anständige Ägypter meiden. Als wir uns dem Haus näherten, blieb Ramses mit mir zurück, während David vorausging, um die Lage zu peilen. Als er zurückkehrte, bedeutete er uns schweigend mitzukommen. Es handelte sich um ein Mietshaus der übelsten Kategorie. Der Flur
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