Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
uns nichts Wissenswertes preisgeben?«
Der Pfad ins Tal ist steil, aber keinesfalls schwierig für durchtrainierte Naturen, wie wir es sind. Ich überredete Nefret, die Katze ab- und ihren Hut aufzusetzen. Horus miaute kläglich, doch selbst Nefret besaß soviel Verstand, den Abstieg nicht mit dem Kater im Arm zu riskieren. In Scharen schwärmten die Touristen durchs Tal; es war Hochsaison, und die Grabmale wurden um ein Uhr geschlossen. Einige von ihnen starrten unverhohlen auf unsere Gruppe, insbesondere auf Horus. Emerson runzelte die Stirn.
»Es wird mit jedem Jahr schlimmer«, brummte er. »Wie die Schmeißfliegen schwirren sie hier herum. Unmöglich, da noch ein ruhiges Plätzchen zu finden, wo man ungestört arbeiten kann, ohne begafft und von dummen Fragen behelligt zu werden.«
»Der Seitenwadi, in dem wir letztes Jahr gearbeitet haben, ist relativ ruhig«, erinnerte ich ihn. »Dort wurden wir nur selten von Touristen gestört.«
»Das lag daran, weil wir verflucht noch mal nichts Interessantes gefunden haben«, sagte Emerson. Touristen provozieren ihn immer zu einem böswilligen Sarkasmus. Ohne jede weitere Erklärung stapfte er den ausgetretenen Pfad entlang, der uns nicht in die von mir erwähnte Felsenschlucht führte, sondern geradewegs zum Haupteingang des Tals und zu den Eselkoppeln. »Wohin geht er denn?« fragte Nefret.
Ich kannte die Antwort und Ramses – natürlich – auch. Er verfügt über eine hervorragende Atemtechnik und kommt mir ständig zuvor. »Er will sich die Gräber drei, vier und fünf ansehen. Er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, daß er doch noch eine Ausgrabungsgenehmigung bekommt, insbesondere für Nr. 5.«
Nicht einmal ich kann von mir behaupten, daß ich alle Gräber im Tal auseinanderhalten kann, aber jeder von uns kannte die besagten Grabstätten. Nur zu oft hatten wir Emersons diesbezüglichen Vorträgen gelauscht. Alle Gräber waren früheren Archäologen bekannt, waren jedoch nie sorgfältig untersucht und erfaßt worden; genaugenommen hatte sie niemand untersuchen wollen. Die Bedingungen von Emersons Ferman erlaubten ihm jedoch nicht, sie zu erforschen, da sie als königliche Grabstätten galten. Kartuschen von Ramses III. waren Grab Nr. 3 zugeschrieben worden, obgleich dieser Pharao tatsächlich in einem anderen, wesentlich prachtvoller gestalteten Grabmal im Tal beigesetzt worden war. Nr. 4, das Ramses XI. zugeschrieben wurde, war von christianisierten Arabern in eine Stallung umfunktioniert worden und deshalb vermutlich vollkommen zerstört. Der Name Ramses II. war in Nr. 5 aufgetaucht, doch auch seine Grabstätte befand sich woanders, und Versuche, dieses Grab zu untersuchen – der letzte hatte vor fünf Jahren durch unseren Freund Howard Carter stattgefunden –, waren aufgrund der unüberwindlichen Geröllmassen in den Grabkammern vereitelt worden.
Emerson hätte als erster zugegeben, daß die Wahrscheinlichkeit eines spektakulären Fundes gering war, doch es verärgerte ihn zutiefst, daß er aufgrund eines willkürlichen und ungerechten Beschlusses nicht einmal den Versuch unternehmen durfte. Die Ausgrabungslizenz, die die Erlaubnis für die Erforschung neuer Gräber im Tal der Könige dokumentierte, oblag Mr. Theodore Davis, und sie wurde nicht nur von M. Maspero, sondern auch von Mr. Arthur Weigall, dem Gebietsinspektor, strengstens überwacht.
»Wir sollten ihn besser begleiten«, sagte ich in besorgtem Tonfall. »Wenn er auf Mr. Weigall trifft, sagt er mit Sicherheit wieder irgend etwas Unangenehmes.«
»Oder tut etwas Unangenehmes«, fügte Nefret grinsend hinzu.
»Als er Mr. Weigall das letzte Mal begegnete, drohte er …«
»Beeilung«, drängte ich.
Da uns die meisten Touristen entgegenkamen, gestaltete sich unser Fortkommen langsamer, als mir lieb war. Ich mußte Emersons Einschätzung zustimmen; im großen und ganzen stellten sie einen ignoranten Haufen dar, waren unpassend angezogen und feixten dümmlich in der Gegend herum. Die Männer waren eindeutig im Vorteil, da sie nicht von hochhackigen Schuhen oder Miedern gepeinigt wurden. Männer wie Frauen starrten Nefret an, die, mit festem Schuhwerk und langer Hose bekleidet, so leichtfüßig wie ein Junge einherschritt. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin trug sie eine Jacke, doch ihre Bluse war am Hals geöffnet, und ihre rotgoldenen Locken ringelten sich vorwitzig unter ihrem Tropenhelm hervor.
Sie achtete nicht auf die unverhohlenen Blicke – die von Seiten der Frauen kritisch, von
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