Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
ähnliches Kleidungsstück erwerben zu wollen. »Ich habe einfach zuviel gegessen«, meinte sie. »Und mein Mieder bringt mich um. Ich hätte auf Ihren Rat hören und darauf verzichten sollen, Amelia, aber ich bin weitaus kräftiger gebaut als Sie.«
»Deine Figur ist genau richtig«, erklärte Cyrus mit einem zärtlichen Blick in ihre Richtung.
Die anderen beeilten sich, ihm zuzustimmen. Wir hatten nur zwei weitere Gäste – Howard Carter und Edward Ayrton, mit dem Ramses im Vorjahr Freundschaft geschlossen hatte. Ned, wie ich ihn auf seinen Wunsch hin nannte, war der Archäologe, der Mr. Davis’ Exkavationen betreute. Er erhielt kaum Dank von Davis, der seine Entdeckungen in der ersten Person Singular zu demonstrieren pflegte; da der Amerikaner jedoch weder Ahnung noch irgendein Interesse an den Ausgrabungsvorgängen hatte, hatte Maspero ihm angeraten, einen qualifizierten Mitarbeiter einzustellen. Ned war ein ruhiger junger Bursche von sympathischem, aber nicht unbedingt attraktivem Äußeren. Ich meinte, daß er in unserer Gegenwart etwas schüchtern wirkte, und deshalb versuchte ich, ihn in die Unterhaltung einzubeziehen.
»Ihre offizielle Saison beginnt, glaube ich, am 1. Januar. Bislang hatten sie bemerkenswertes Glück, daß Sie interessante Grabstätten für Mr. Davis entdeckt haben. Damit will ich keinesfalls Ihr archäologisches Können herabsetzen, das sicherlich entscheidend zu Ihrem Erfolg beigetragen hat.«
»Sie sind zu liebenswürdig, Mrs. Emerson«, erwiderte der junge Mann mit sanfter, wohlklingender Stimme. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, haben wir im letzten Jahr nichts gefunden, was auch nur annähernd mit Juja und Thuja vergleichbar wäre.«
»Gütiger Himmel, wie viele ungeplünderte Gräber hofft dieser Bas … – äh – Mann denn in seinem Leben noch zu entdecken?« wollte Emerson wissen.
»Er scheint wenigstens mit einem pro Jahr zu rechnen.« Diese Äußerung kam von Howard, der etwas abseits von uns anderen saß. »Ich beneide Sie nicht um Ihren Job, Ayrton.« Ein kurzes, verlegenes Schweigen schloß sich seinen Worten an. Neben seiner Stellung als Inspektor für Oberägypten hatte Howard früher Davis’ Exkavationen überwacht. Jetzt hatte er beide Positionen verloren, und die Verbitterung in seiner Stimme widerlegte den von ihm zur Schau gestellten Gleichmut. Im Frühjahr des Jahres 1905 war Howard nach Unterägypten auf die Position von Mr. Quibell versetzt worden, der wiederum Howards Stelle als Inspektor für Oberägypten angetreten hatte. Kurz nachdem Howard nach Sakkara umgezogen war, hatte eine Gruppe betrunkener französischer Touristen versucht, ohne die entsprechenden Eintrittskarten in das Serapeum vorzudringen. Da man ihnen den Zutritt verwehrte, griffen sie die Wachen mit ihren Fäusten und Knüppeln an. Als Howard auf der Bildfläche erschien, wies er seine Männer an, sich zu verteidigen, dabei wurde einer der Franzosen übel zugerichtet.
Da diese unsäglichen Subjekte bereits am Morgen in Mrs. Petries Haus eingedrungen und ihr gegenüber unverschämt geworden waren, stand zweifelsfrei fest, daß sie sich strafbar gemacht hatten – doch als »Einheimischer« einen Ausländer zu verprügeln, selbst wenn es der eigenen Verteidigung diente, galt in den Augen der hochnäsigen ägyptischen Regierungsbeamten als weitaus gravierenderer Gesetzesbruch. Die Franzosen verlangten eine offizielle Entschuldigung. Howard weigerte sich, diese auszusprechen. Maspero versetzte ihn in ein entlegenes Gebiet im Delta, und nachdem er dort einige Monate lang vor sich hin gegrübelt hatte, gab Howard auf. Seitdem verdingte er sich seinen Lebensunterhalt auf zweifelhafte Weise, indem er seine Gemälde feilbot und wohlhabenden Touristen als Führer diente. Er verfügte über keinerlei Privatvermögen, und seine vielversprechende Karriere lag nun brach.
Emerson durchbrach das Schweigen mit der Art von Kommentar, die er, wie er mir versprochen hatte, eigentlich nicht äußern wollte. Im Vorjahr hatte er eine größere Auseinandersetzung mit Mr. Davis gehabt – wenn man einmal von den kleineren Zwistigkeiten mit allen anderen Leuten absah. Er hatte geschworen, die festliche Atmosphäre des Weihnachtstages nicht zu trüben, indem er Davis beschimpfte, doch ich hätte wissen müssen, daß er sich nicht bremsen konnte.
»Sie sind aus allem fein raus, Carter«, knurrte er. »Quibell konnte nicht mit Davis zusammenarbeiten, deshalb wurde er wieder in den Norden versetzt, und nachdem
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