Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
einiges klären. Ramses hatte sich noch nicht zu uns gesellt. Ich wußte, wo er war; gleich nach dem Aufstehen hatte ich nachgesehen, wie unsere kleine Schutzbefohlene die Nacht verbracht hatte. Sie war wach und verlangte nach ihrem Abu.
»Das müssen wir ihr abgewöhnen«, sagte ich zu Fatima, die das Kind mit auf ihr Zimmer genommen hatte. »Aber wie soll sie ihn eigentlich nennen?«
Zu diesem Thema hatte Fatima keine Meinung. Allerdings vertrat sie eine ganze Reihe von Ansichten hinsichtlich der Kleinen, und wir diskutierten gerade darüber, als Ramses zu uns stieß. Ich ließ die drei zurück und ging nach unten zum Frühstück. Emerson saß bereits am Tisch und trank seinen Kaffee; er war ziemlich aufgebracht.
»Was machen denn alle da oben?« wollte er wissen. »Ich dachte, du würdest sie mit herunterbringen. Sicherlich ist sie hungrig. Wo steckt Ramses?«
Geduldig erklärte ich ihm, daß kein zweijähriges Kind, egal welcher Nationalität, ein angenehmer Tischnachbar ist, erinnerte ihn daran, daß Ramses erst im Alter von sechs Jahren die Mahlzeiten gemeinsam mit uns einnahm, wies darauf hin, daß die Kleine nichts zum Anziehen hatte, und fügte noch hinzu, daß Fatima dafür sorgen würde, daß sie ein anständiges Frühstück bekam. Alis Auftauchen mit dem Telegramm lenkte Emerson von weiteren Vorwürfen ab, die ihm sicherlich auf der Zunge lagen.
»Endlich«, brummte er. »Das hat aber auch lange genug gedauert. Jetzt können wir wieder an die Arbeit gehen. Ich möchte so rasch wie möglich zur Ausgrabungsstätte aufbrechen. Beende dein Frühstück, Peabody.«
»Ich glaube nicht, daß ich dich heute begleiten kann, Emerson«, erwiderte ich. »Ich muß einiges einkaufen. Die Kleine besitzt weder ein anständiges Kinderbett noch eine Haarbürste oder andere dringend erforderliche Dinge. Wir müssen ein Kinderzimmer einrichten und ein Kindermädchen finden; Fatima kann nicht auf sie aufpassen und auch noch ihre anderen Aufgaben erfüllen. Darüber hinaus muß ich jetzt auch noch sicherstellen, daß die Dahabije für Lias und Davids Ankunft vorbereitet wird. Fatima kann ich nicht mitnehmen, da das Kind sich bereits an sie gewöhnt hat, deshalb –«
»Verschon mich damit, Peabody«, knurrte Emerson. »Ah, da ist Ramses. Alles in Ordnung mit dir, mein Junge?«
Er sah aus, als hätte er kein Auge zugemacht. Ich reichte ihm das Telegramm und stellte erfreut fest, daß sich sein verhärmtes Gesicht aufhellte.
»Schön, die beiden endlich wiederzusehen«, bemerkte er. »Schön, die beiden endlich an der Ausgrabungsstätte zu wissen«, brummte Emerson. »Diese ganzen Unterbrechungen haben meinen Zeitplan in ein Chaos verwandelt. Der gestrige Tag war ein herber Verlust, und deine Mutter plant, einen weiteren Tag in Kairo zu vergeuden, und Nefret ist irgendwo verschollen, und … Ich hoffe doch, daß du keine anderen Pläne hast, Ramses?«
»Nein, Sir.«
Mehr sagte Ramses nicht. Emerson zog die Brauen zusammen – nicht aus Verärgerung, sondern aus väterlicher Besorgnis. Er ersparte sich jeden Kommentar; statt dessen versuchte er es mit einer anderen Taktik.
»Ich habe einen neuen Plan«, verkündete er.
Ich schwieg. Ebenso höflich und desinteressiert wie zuvor erwiderte Ramses: »Ja, Sir.«
»Falls Vandergelts Vermutung zutrifft, versucht irgend jemand, uns von der Ausgrabungsstätte fernzuhalten. Das bedeutet – das muß bedeuten –, daß sich in Zawiet el-Aryan irgend etwas befindet, von dem der Bursche nicht will, daß wir es finden. Trotzdem«, fuhr Emerson triumphierend fort, »werden wir es aufspüren. Nicht aufgrund unsystematischer Grabungsarbeiten oder unhaltbarer Theorien, sondern durch methodische Exkavation, nach deren Vorgaben wir jeden Zentimeter dieses Gebiets durchkämmen werden! Nun? Was hältst du davon?« »Das wird harte Arbeit«, entgegnete Ramses. Allerdings schien er etwas interessierter.
»Wir werden entsprechend viele Männer beschäftigen. Mit uns vieren, dazu David, Lia, Selim und Daoud, sind genug Aufseher vorhanden.«
»Hervorragend, Emerson«, versetzte ich, während ich stirnrunzelnd die von mir zusammengestellte Liste überflog und einen weiteren Punkt hinzufügte.
Emerson blickte mir über die Schulter und las meine Aufzeichnungen laut vor. »›Kleine Emaillebadewanne‹. Hmmm. Das Problem bei deiner Mutter, Ramses, ist, daß sie keine nennenswerten mütterlichen Gefühle besitzt.«
Es kümmerte mich nicht, daß Emersons kleiner Scherz zu meinen Lasten ging, da
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