Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
ist nicht ungewöhnlich.«
»Trotzdem erhöht es meine Schuld, meinst du nicht?« wollte Ramses wissen. »Nicht nur ihr Mann, sondern auch ihr –«
»Das ist morbide und inkonsequent«, ereiferte ich mich unumwunden. »Dieser verfluchte Kerl war ein Mörder, und du hast sogar noch versucht, ihm das Leben zu retten.«
»Weiß sie das? Mein Kinnhaken katapultierte ihn in den Schacht. Sie hat nicht gesehen, was danach geschah.«
»Sie muß es wissen. Wenn nicht, werde ich es ihr sagen. Was das … was das andere angeht, so war es nicht annähernd … Sie war nur … Ich spreche von Wochen und nicht von Monaten.«
Ramses erhob sich. »Entschuldigt mich bitte. Falls ihr mich braucht, bin ich in meinem Zimmer.«
David wollte sich ihm anschließen. Stirnrunzelnd und diabolisch grinsend, wandte sich Ramses an seinen Freund. Noch nie hatte er seinem Vater so ähnlich gesehen. »Laß mich um Himmels willen allein!«
»Ach du meine Güte«, entfuhr es mir. »David –«
»Das geht schon in Ordnung, Tante Amelia. Ich kann ihn verstehen. Wenn er mich braucht, bin ich für ihn da.« Er folgte Ramses aus dem Zimmer.
Emerson nahm meine Hand. »Setz dich, meine Liebste. Bist du sicher, daß Nefret nichts fehlt?«
»Aber ja«, erwiderte ich gequält. »Sie ist jung und gesund; schon in wenigen Tagen wird sie wieder bei Kräften sein. Aber ich mache mir Sorgen um Ramses. Er scheint sich mit Selbstvorwürfen zu plagen, und dafür besteht absolut kein Grund, Emerson, ganz gewiß nicht; von Anfang an hatte Geoffrey das alles so eingefädelt. Ich muß zu Ramses, Emerson, und ihm erklären –«
»Nein, mein Schatz. Nicht jetzt.«
»Bitte, Emerson, komm und setz dich zu mir. Und wenn du nichts dagegen hast, könntest du deinen Arm um meine Schultern legen.«
»Meine geliebte Peabody!« Er hielt mich fest umschlungen und schaukelte mich so sanft wie ein kleines Kind. »Es wird alles gut werden, Peabody. Wir werden diese Sache genauso bewältigen wie jedes andere Problem. Weißt du, es hätte schlimmer kommen können.«
»Mag sein, aber es war schon schlimm genug«, erwiderte ich. Aufgrund seiner Nähe und Vitalität empfand ich ein wohliges Gefühl der Geborgenheit. »Schmerzt deine Wunde, mein Schatz? Vielleicht sollte ich dich noch einmal untersuchen. Ich war etwas in Eile, als –«
»Nein«, wandte Emerson hastig ein. »Mit diesem Verband fühle ich mich ohnehin schon halb mumifiziert.«
»Wenn ich darüber nachdenke, welche Greueltaten dieser verfluchte Mann begangen hat, tut es mir fast leid, daß er einen so raschen Tod hatte«, bemerkte ich zornig. »Ihm ging es nur um Geld, nicht wahr? Er schreckte vor keinem Verbrechen zurück, solange es lukrativ war – Drogenhandel, Grabschändung, der Verkauf gefälschter Artefakte – ja, sogar seine Eheschließung mit Nefret.«
Emerson schüttelte den Kopf. »Ihr Vermögen war sicherlich ein Anreiz, aber wie du weißt, Peabody, besitzt sie die alleinige Verfügungsgewalt. Ich denke, er liebte sie so sehr, wie es sein Gefühlsleben zuließ. Auf seine merkwürdige Art und Weise.«
»Merkwürdig, in der Tat. Wie konnten wir nur so begriffsstutzig sein, Emerson? Das gesamte Beweismaterial, das Jack für mich verdächtig machte, belastete gleichermaßen Geoffrey, nachdem ich erkannt hatte, daß der Halunke der Geliebte der bedauernswerten Maude gewesen ist. Warum mir diese Eingebung nicht eher kam, weiß ich nicht.« »Ich auch nicht«, erwiderte Emerson.
»Der beschränkte Jack wäre nie auf die Idee gekommen, Fälschungen herzustellen, um damit den Profit seiner illegalen Antiquitätenverkäufe zu erhöhen«, fuhr ich fort. »Er vertraute Geoffrey; nicht im Traum wäre ihm eingefallen, daß sein Freund seine Schwester nur umgarnte, um sie dann für seine scheußlichen Machenschaften zu benutzen. Sie war wie Wachs in seinen Händen, bis sie ihr Herz an einen anderen verlor, und weil sie darauf hoffte, dessen Zuneigung zu gewinnen, hinterging sie Geoffrey.«
»Aber Peabody, das erscheint mir doch etwas weit hergeholt«, bemerkte Emerson süffisant. »Sie war zwar ein bedauernswertes, törichtes kleines Geschöpf, aber war sie so dumm, zu glauben, daß sie mit derartigen Avancen Ramses’ Zuneigung gewinnen könnte? Und wie erfuhr Geoffrey rechtzeitig genug von ihren Absichten, um diese zu unterbinden?«
»Natürlich warnte sie ihn«, erwiderte ich nachdenklich. »Für ein törichtes, romantisches Mädchen wie sie war das schlichtweg Ehrensache. Sie begriff einfach nicht, wie
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