Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
skrupellos er war. Frauen verhalten sich gelegentlich wie Vollidioten, sobald ein Mann im Spiel ist.«
»Aber, meine Liebe, ich glaube, daß ich aus deinem Mund bislang noch nie eine so schnöde Verallgemeinerung hinsichtlich deiner Geschechtsgenossinnen vernommen habe.«
»Es ist nett von dir, daß du mich mit deinen kleinen Scherzen aufzumuntern versuchst, Emerson.« Ich entzog mich ihm und glättete mein Haar.
»Das war kein Scherz.« Trotzdem blitzten in seinen Augen Belustigung und Zärtlichkeit auf, während er seinen Arm erneut um meine Taille schlang. »Was ist denn, Peabody? Was beunruhigt dich? Wieder einmal haben wir eine schlimme Zeit relativ unbeschadet überstanden, und obschon das Ende grausam genug war, war es immerhin … ein Ende.«
»Gott sei Dank war es kurz und definitiv«, stimmte ich ihm zu. »Selbst die … die andere Geschichte … So grausam es klingen mag, aber man muß den betrüblichen Vorfall als heimlichen Segen werten.«
»Sieht sie das auch so?«
»Um Himmels willen, Emerson, das habe ich ihr doch nicht zu verstehen gegeben! Für wie beschränkt hältst du mich eigentlich? Sie weinte fast nur. Und, ach, Emerson – « Ich konnte meine Tränen nicht mehr unterdrücken. Emerson murmelte leise Koseworte und hob mich auf seinen Schoß. »Sie wollte mich nicht um sich haben«, schluchzte ich an seiner Schulter. »Sobald sie mich nur ansah, brach sie erneut in Tränen aus.«
Eine Woche später begrüßte ich meinen lieben, alten Freund Doktor Willoughby, der mit dem Morgenzug aus Luxor angereist war. Mein Telegramm hatte lediglich ausgesagt, daß er gebraucht würde; da er eine wirklich gute Seele war, hatte er seine Patienten und seine Praxis verlassen und war umgehend gekommen. Während unserer Kutschfahrt zum Haus erzählte ich ihm die ganze Geschichte, ohne irgend etwas zu verschweigen, denn ich vertraute gleichermaßen auf seine Diskretion und auf seine Erfahrung als Nervenarzt.
»Körperlich ist sie völlig wiederhergestellt, Doktor, sie versucht zu essen und zu helfen und bemüht sich um alles, worum ich sie bitte. Es bricht mir fast das Herz, wenn ich sehe, wie sehr sie sich anstrengt – welche Mühen es sie kostet, zu lächeln und sich erfreut über meine Besuche zu zeigen. In Wahrheit will sie mich gar nicht sehen, Dr. Willoughby! Keinen von uns. Die meiste Zeit liegt sie apathisch und schweigend im Bett, und sobald sie sich allein glaubt, bricht sie erneut in Tränen aus.«
»Meine liebe Mrs. Emerson, das erstaunt mich keineswegs«, erwiderte der gute Mann besänftigend. »Ich habe nur selten eine so tragische Geschichte gehört. Schon wenige Wochen nach der Heirat in den Witwenstand versetzt zu werden – das Bewußtsein, daß der geliebte Gatte ein skrupelloses Ungeheuer war – die Konfrontation mit seinem grauenvollen Tod – und dann die zerstörte Hoffnung auf eine Mutterschaft! In so kurzer Zeit dürfen Sie keine völlige Wiederherstellung ihrer Gefühlswelt erwarten, Mrs. Emerson. Sie müssen sich nicht entschuldigen, daß Sie mich zu Rate gezogen haben; es hätte mich betroffen gemacht, wenn Sie es nicht getan hätten.«
Was mich am meisten beunruhigte, hatte ich ihm allerdings nicht geschildert. Obwohl sie es zu verbergen versuchte, entzog sie sich mir und Emerson, dessen Anblick sie jedesmal zu Tränen rührte; Ramses jedoch wollte sie überhaupt nicht sehen, und er unternahm nichts, um diesen Zustand zu ändern. Sicherlich, so sagte ich mir, war sie nicht so ungerecht, daß sie ihn für das Vorgefallene verantwortlich machte. Das war und blieb meine einzige Interpretation, denn ich wagte nicht, sie rundheraus zu fragen, warum sie sich so verhielt. Lia, von der ich mir aufschlußreiche Informationen erhofft hatte, war entweder nicht in der Lage oder nicht bereit, mir Klärung zu verschaffen. Sie behauptete – und ich sah keinen Anlaß, an ihren Worten zu zweifeln –, daß Nefret auch ihr gegenüber verstockt sei. Wäre ich nicht so angespannt gewesen, hätte ich mir auch um Lia Sorgen gemacht; sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst und blühte lediglich in der Gesellschaft ihres Mannes auf. Ich glaubte den Grund für ihren Kummer zu verstehen; empfanden wir schließlich nicht alle dasselbe?
Dr. Willoughby blieb zwei Tage bei uns. Dreimal konsultierte er Nefret allein, wollte seine Diagnose aber erst nach der Schlußvisite besprechen. An besagtem Nachmittag warteten wir alle im Innenhof auf ihn, und als er auftauchte, sprang Emerson auf und goß für
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