Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
Emerson und David rauchten Pfeife. Ramses saß auf dem Rand des Springbrunnens und spähte ins Wasser.
»Sind Sie ganz sicher, daß ich mich nicht an Ihrer Pyramide versuchen soll?« fragte Cyrus wenig zuversichtlich.
»Pah«, erwiderte Emerson launig.
»Das hatte ich erwartet. Nun ja, es sieht so aus, als überließe mir Maspero im nächsten Jahr einen Teil von Abusir. Wenn ihr also weiterhin in Zawiet arbeitet, sind wir wieder Nachbarn.«
»Darauf trinken wir«, rief ich, und Emerson reichte die Whiskeygläser herum.
Warum Ramses seine Ankündigung bis zu diesem Abend hinauszögerte, weiß ich nicht. Jedenfalls hätte er kaum länger warten können.
»Ich werde euch nicht begleiten.«
»Was sagst du da?« wollte ich wissen. Mir war nicht entgangen, daß Emerson wie gebannt auf eine Topfpflanze starrte. Offenbar war ihm diese Information nicht neu.
»Ich werde noch einen Monat für Mr. Reisner arbeiten, vielleicht auch länger«, erwiderte Ramses. »Nachdem er zwei seiner Mitarbeiter verloren hat, leidet er an Personalmangel.«
»Unsinn«, entfuhr es mir. »Wir schulden ihm nichts. Ich verbiete dir ausdrücklich –«
»Er wird hervorragende Erfahrungen sammeln«, bemerkte Emerson mit einem vielsagenden Blick in meine Richtung.
Als wir wieder allein waren, diskutieren wir die Sache, und ich sah gezwungenermaßen ein, daß ich Ramses’ Einstellung nicht ändern konnte. Das war mir noch nie gelungen. Sennia würde gemeinsam mit ihm auf der Amelia bleiben, zweifelsohne von allen weiblichen Familienmitgliedern betreut werden und Anfang April mit ihm und Basima zurückkehren. Bis dahin … Wer ahnte schon, was bis dahin alles passieren könnte? Ausnahmsweise fand selbst ich keine Antwort auf diese Frage.
Aus Manuskript H
Ramses hatte David ebenfalls nicht in seine Pläne eingeweiht. Er hatte mit einer Auseinandersetzung gerechnet, aber keineswegs damit, daß er in deren Verlauf den kürzeren ziehen würde.
»Du hast keine Handhabe, mich in irgendeiner Form am Bleiben zu hindern«, erklärte David bedrohlich ruhig und erschreckend zutreffend. »Wie schade, daß du nicht Ramses der Große bist; dann könntest du mich in Ketten legen und von deinen königlichen Bewachern über Bord werfen lassen.«
Unter dem Vorwand, packen zu müssen, hatten sie sich nach dem Abendessen in Ramses’ Zimmer zurückgezogen; die beiden saßen inmitten der ringsum verstreuten Kleidungsstücke auf dem Boden und funkelten sich an.
»Die Ehe ist deinen Manieren keineswegs förderlich«, bemerkte Ramses ungehalten. »Oder deinem Sinn für Humor. Was wird Lia dazu sagen?«
»Sie bleibt natürlich auch. Sie teilt meine Meinung, daß du nicht allein sein solltest.«
»Gütiger Himmel, nein! Ich bin recht gut in der Lage …« Davids amüsierter und zugleich wohlwollend fragender Blick veranlaßten ihn zu seinem süffisanten Grinsen. »Bin ich nicht, nicht wahr? Du brauchst mich keineswegs daran zu erinnern, wie oft du mich schon aus einer brenzligen Situation befreit hast. Aber augenblicklich versucht niemand, mich umzubringen, David.«
»Bist du sicher?«
Ramses hielt den Atem an und sagte Sekundenbruchteile später: »Was weißt du von der Sache? Und von wem hast du es erfahren?«
»Die Sache mit deinem Cousin? Es bedarf keiner überragenden Intelligenz, um zu dem Schluß zu kommen, daß er derjenige war, der Sennia und ihre Mutter in einem überaus günstigen Moment auf den Plan rief. Er versuchte, dich zu brüskieren und zu verletzen, und das ist ihm gelungen, nicht wahr?«
»Voll und ganz.«
»Du kannst mir ebensogut alles erzählen. Du hast keine Ahnung«, fügte David hinzu, »wie herrlich es ist, wenn ich das sagen darf, statt mir diese Aufforderung ständig von Tante Amelia anhören zu müssen.« »Wenn du es ebenfalls bemerkt hast, dann hat mir meine Einbildungskraft also keinen Streich gespielt. Ich fragte mich schon, ob ich verrückt bin. David, du weißt nicht, wie sehr ich … Ich muß es doch nicht sagen, oder?«
»Nein. Dafür bist du einfach zu britisch.« David grinste.
Während er versuchte, seine Gedanken zu strukturieren, schwieg Ramses. Die Tatsache, daß seine logischen Folgerungen fast ausschließlich auf dem beruhten, was seine Mutter als Intuition bezeichnete, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. In diesem Fall war es das Wissen um den Charakter und die Denkweise des Menschen, der überall auf der Welt seine Spur hinterläßt. Im Hinblick auf Percy war sie schleimig und klebrig wie die einer
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