Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
aufgefallen, daß, wenn es sich bei dem Übeltäter um einen Ägyptologen handelt, er einer unserer Freunde oder wenigstens ein guter Bekannter sein muß?«
»Wir dürfen die Möglichkeit nicht ausschließen«, sagte Emerson, »daß es sich um zwei Personen handelt und daß zumindest der Künstler Ägypter ist. Der verstorbene und wenig geschätzte Abd el Hamed war der einzige mir bekannte, der über eine solch herausragende Begabung verfügte, aber die von uns gesuchte Person ist uns vielleicht nicht bekannt – ein Fälscher von außergewöhnlichem Talent, entdeckt und ausgebildet von unserem hypothetischen … Gütiger Himmel! Wir verlieren den Boden unter den Füßen und diskutieren ins Blaue hinein.«
»Korrekt«, erwiderte ich. »Es wird Zeit, daß wir die Offensive ergreifen! Wenn wir gegenüber den vermeintlich Verdächtigen einige Anspielungen machten –«
Mit einem lauten Aufschrei sprang Emerson auf. »Ich wußte es! Ich wußte, daß du das sagen würdest! Ich verbiete dir ausdrücklich, durch Kairo zu spazieren und wahllos irgendwelche Leute krimineller Aktivitäten zu bezichtigen! Man sollte doch annehmen, daß du mittlerweile gelernt hast, den Kopf nicht unter das Messer der Guillotine zu legen, nur um einen besseren Blick auf den Scharfrichter zu erhaschen. Konzentriere dich auf das verfluchte Haus. Dort gibt es genug zu tun, was dich von Gefahren fernhalten wird.«
»Selbstverständlich wartet dort eine Menge Arbeit«, erwiderte ich einlenkend. »Und diese wird sich rascher und leichter bewältigen lassen, wenn ich auf eure volle Unterstützung zählen kann. Damit meine ich euch alle drei. Es wäre ungerecht, mir die lästigen Aufgaben wie Reinigung und Umzug zu überlassen, während ihr euch mit den Pyramiden vergnügt. Da stimmt ihr mir doch sicherlich zu.«
»Selbstverständlich«, ereiferte sich Nefret.
»Kein einsichtiger Mensch könnte deine Logik entkräften«, meinte Ramses.
»Pah«, schnaubte Emerson.
»Das wäre also geklärt«, erwiderte ich eher optimistisch als überzeugt. »Wenn wir morgen das Ausgrabungsgelände inspizieren wollen, sollten wir uns jetzt besser zurückziehen.«
»Würde es euch etwas ausmachen, wenn ich morgen nicht mitkäme?« fragte Nefret. »Ich muß noch einen Besuch machen. Man erwartet mich sicherlich.«
Fragend blickte ich zu Emerson. An seinem finsteren Blick und seinen zusammengepreßten Lippen bemerkte ich, daß ihm die Idee ebenso mißfiel wie mir, er aber genau wie ich wußte, daß jeder Widerspruch zwecklos war. »Tu, was du für richtig hältst, Nefret«, erklärte ich. »Das tut sie sowieso«, warf Ramses ein. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mitkomme, Nefret?«
Ihre blauen Augen blitzten auf. »Als Anstandsdame oder als Leibwächter, Ramses?«
»Als Freund.«
»Du weißt genau, wie man ein Mädchen rumkriegt, nicht wahr?« Lächelnd reichte sie ihm ihre Hand. Als er danach griff, biß ihm Horus in den Finger.
Aus Manuskript H
»Wie weit ist es denn noch?« fragte Ramses.
»Wir sind gleich da.« Nefret hakte sich fester bei ihm ein und hüpfte elegant über eine dampfende Ansammlung von Kamelmist. Sie sah ihn nicht an. Den Blick konzentriert auf den Boden zu heften war in den Gassen von el Was’a auch unumgänglich, da man dort im Zickzackkurs undefinierbaren Substanzen ausweichen mußte. Die engen, gewundenen Gassen waren zwar überaus belebt, aber noch nicht so überfüllt, wie sie es in den spä ten Abendstunden sein würden, wenn die Läden vor den Parterrefenstern geöffnet wurden, die Frauen ihre Plätze hinter den Eisengittern einnahmen und sich lautstark gestikulierend den Männern feilboten, die sie wie Schlachtvieh taxierten. Das Gebiet zwischen Ezbekieh und Hauptbahnhof war so berühmt-berüchtigt, daß es sogar von Reisegruppen aufgesucht wurde, allerdings nicht von denen des ehrenwerten Mr. Cook.
Weit und breit waren sie die beiden einzigen Ausländer, und Nefret war in ihrer Hose, den Stiefeln und ohne Kopfbedeckung vermutlich so unauffällig wie eine ausgebrochene Tigerin. Die Passanten starrten sie an und tuschelten, machten ihnen jedoch Platz. Die Kamele und Esel allerdings nicht. Ramses zerrte Nefret beiseite, um einen Karren vorbeizulassen. Schlammspritzer klatschten auf seine Stiefel. Wenigstens hoffte er, daß es Schlamm war.
»Konntest du dir nicht einen gepflegteren Ort aussuchen?« fragte er.
»Das mußt ausgerechnet du fragen. Sie wären nicht zu mir gekommen. Ich mußte sie aufsuchen.«
Bei dem Haus handelte
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